ich will kein eigenheim

Zuerst haben es Bernd und Sabine gemacht. Dann Katrin und Imran, Julia und Dirk und jetzt auch noch Sven, von dem ich eigentlich immer dachte, dass er auf der richtigen Seite steht. Alle meine Freunde kaufen sich Eigentumswohnungen. Sie sind nicht reich, manche von ihnen haben ein bisschen was geerbt, »Kredite werfen einem die Banken im Moment ja sowieso hinterher«, sagen sie.

Wenn meine Freunde über ihren Eigentumswohnungserwerb sprechen, schämen sie sich ein bisschen, grinsen und sagen: »spießig, ich weiß«, dabei ist das gar nicht der Punkt. Sie kaufen ihre Immobilien ja nicht, wie früher üblich, neu gebaut, draußen auf der grünen Wiese, wo sowieso keiner hinwill. Sie kaufen in den Innenstädten, wo die Mieten steigen und immer mehr Mietshäuser in Eigentumswohnungen umgewandelt werden, in die dann die Eigentümer selbst einziehen. Für Mieter wird der Raum immer enger. Ich weiß, wovon ich spreche.

Das Haus, in dem wir bald gewohnt haben werden, befindet sich im Frankfurter Nordend. Makler sprechen von einer Top-Wohnlage in Innenstadtnähe und verschweigen den Top-Umstand, dass unten auf der Straße von frühmorgens bis spätnachts die U 5 auf ihren Schienen kreischt. Wenn Lkw vorbeifahren, zittern die Wände. Es ist ein altes Gebäude und gehörte damals zwei Schwestern, die sich nicht übermäßig für ihre Immobilie interessierten. Als wir vor zehn Jahren einzogen, lebten in unserem Haus: ein türkischer Lebensmittelhändler, der im Ladengeschäft an seiner Fleischtheke Lammhälften ausstellte; eine Studenten-WG; eine vierköpfige Familie, die Hartz IV bezog, sowie der junge Dr. Irgendwas im Dachgeschoss.

Heute befindet sich im Erdgeschoss des Hauses ein brasilianisches Café, in dem ab und zu Vernissagen gefeiert werden. Der neue Eigentümer der Dachgeschosswohnung, ein Unternehmer, hat lange, lärmende Monate über ein zusätzliches Stockwerk aufbauen lassen. Die Wohnung unter uns besitzen zwei Ärzte plus Tochter plus Sohn, die über uns ein Bauingenieur mit Frau und Kind. Beide Parteien besitzen Klaviere, die sie über und unter meinem Schreibtisch platziert haben. Und sie benutzen sie.

Wir sind nicht unschuldig daran, dass im Nordend mittlerweile selbst laute, unsanierte Altbauwohnungen für eine halbe Million verkauft werden. Auch wir sind Teil der Akademikerwelle, die das Quartier seit Jahren flutet. Wir haben dazu beigetragen, dass die Mieten stiegen. Wir haben die Holzböden eigenhändig abgeschliffen, die fiese Raufasertapete von den Wänden gefitzelt, wir haben unsere Hausnummer an die Fassade gesprüht, weil da keine war, und als das Haus dann irgendwann nicht mehr nur marode, sondern irgendwie auch ganz charmant wirkte, kam ein Finanzinvestor und sagte: Super, kauf ich. Jetzt werden uns die geölten Dielen unterm Hintern weggezogen. Vielleicht geschieht uns das sogar recht. Die Gentrifizierung frisst ihre Kinder.

Der Finanzinvestor baute zunächst neue Balkone mit U 5-Blick ans Haus. Wir bekamen neue Briefkästen und ein neues Glasdach über die neue Glastür, die aus Versehen falsch herum eingebaut wurde, sodass man beim Öffnen seitdem ziehen statt drücken muss. Dann wurde das Haus an eine Immobilienfirma weiterverkauft, die es in Eigentumswohnungen zerlegte. Die WG löste sich kurze Zeit später auf, die Hartz-IV-Familie ließ sich auf eine lächerlich niedrige Abstandszahlung ein. Wir blieben. In Städten wie München, Hamburgund Berlin versucht man inzwischen, diese Entwicklung mit Milieuschutzverordnungen zu bremsen, um nicht ganze Quartiere der Willkür des Markts zu überlassen.

Die Verordnungen machen Luxussanierungen genehmigungspflichtig, und auch bei der Umwandlung von Mietshäusern in Eigentumswohnungen kann die Stadt intervenieren. Trotzdem sind die Mieten in Berlin innerhalb von fünf Jahren um 21,7 Prozent gestiegen. Wurden 2007 noch 3.974 Mietwohnungen in der Hauptstadt umgewandelt, waren es 2013 mit 9.178 mehr als doppelt so viele. Die Eigentumsquote liegt mit 15 Prozent schon jetzt über dem Bundesdurchschnitt. In Frankfurt gilt der Milieuschutz bisher nur für wenige Gebiete. Das Nordend gehört nicht dazu.

Wir hätten versuchen können, einen Kredit aufzunehmen. Gesetzlich steht den Mietern ein Vorkaufsrecht zu. Aber ich bin gern Mieterin. Ich will gar kein Eigentum. Warum wollen Menschen besitzen, was sie im Grunde nur benutzen? Eigentum versaut das Miteinander. Wer besitzt, wohnt verbissen. Die meisten Mieter leben in einem Mietshaus so entspannt wie in einer offenen Beziehung, aus der man sich jederzeit verabschieden und gehen kann, no hard feelings. Eigentümer starten, wenn es dumm läuft, direkt ins zwölfte Jahr einer kaputten Ehe. Dein Nachbar ist ein Arschloch? Pech, dem gehört seine Wohnung ebenso wie dir, der bleibt. Scheidung impossible oder jedenfalls so gut wie .

Eigentum frisst Nerven und Zeit. Mieter nehmen schulterzuckend zur Kenntnis, wenn ihr Boiler jämmerlich verendet. Sie rufen dann ihren Vermieter an, der es richten muss. Eigentümer verbringen Abende bei Eigentümerversammlungen, und wenn eine Mehrheit auf die Idee kommt, dass das Haus dringend einen Hightech-Fahrradständer vor der Tür braucht, müssen alle mitzahlen, selbst wenn sie gar kein Fahrrad haben. Wer will so was? Ich würde Eigentümer gern verachten, aber ich weiß nicht, wen ich dann zu meiner nächsten Geburtstagsparty einladen soll. Lange Jahre über wurde der Finanzinvestor unsere Wohnung nicht los. Wenn er Kaufinteressenten vorbeischickte, gefiel es uns, die Fenster zur U 5 zu kippen und den Wert der Immobilie durch unsere bloße Existenz zu senken: Wir zahlten wenig Miete und teilten unaufgefordert mit, die Kündigungssperrfrist wegen Eigenbedarfs in vollem fünfjährigem Umfang ausnutzen zu wollen. Plus neun Monate regulärer Kündigungsfrist. Macht sechs Jahre, bis ihr unsere Butze in euer Schloss verwandeln könnt. Die meisten Kaufinteressenten lehnten dankend ab. Mieter mit Kündigungsschutz sind für Kaufinteressenten mit Eigenbedarf so was wie die Hausbesetzer des 21. Jahrhunderts.

Wie ist es überhaupt so weit gekommen? Früher waren Bausparverträge und Eigenheime was für Lutscher. Mittlerweile gelten Mieter im gesellschaftlichen Diskurs als Verlierer, die sich die Finanzierung der eigenen Wohnung nicht leisten können. Als Lappen, die nicht begriffen haben, wie krass sich das alles gerade rechnet. In Hamburg wirbt ein Kreditinstitut mit dem Claim »Meine Bank heißt Carsten« für günstige Finanzierungsmodelle. Ein Bankangestellter (Carsten) fordert im Kampagnenvideo: »Ich möchte, dass die Hamburger mehr besitzen statt mieten.« Nun, Carsten, ich hätte gern große Brüste und die Weltrevolution, aber das Leben ist halt kein Wunschkonzert.

Als in den neunziger Jahren alle anfingen, mit Aktien herumzuhampeln, konnte das uns, die es bleiben ließen, egal sein. Aber wenn jetzt jeder drittklassige Finanzberater zur Auskunft gibt, dass es bei der Kapitalanlage zum Immobilienerwerb kaum mehr Alternativen gebe, geht die Wertschöpfung der einen auf Kosten von etwas absolut Existenziellem anderer: der Wohnung, dem Zuhause, dem Lebensentwurf. Man muss ja von Glück sagen, wenn man zu denen gehört, die nur Mieter bleiben wollen. Was ist mit denen, die gar nicht anders können?

Auf dem Immobilienmarkt wird die soziale Verantwortung privaten Profitinteressen geopfert – und das gilt mittlerweile auch als vollkommen legitim. Makler rechnen ihren Kunden vor, wie machbar so eine Finanzierung ist – bei einem Eigenkapitalanteil von 25 Prozent. Das sind selbst bei der geringsten sechsstelligen Summe, für die man in Frankfurt nicht einmal drei Wände bekommt, 25.000 Euro, die nicht jeder auf dem Konto liegen hat. Ansparen können viele diese Summen ihr ganzes Leben nicht. Soll ich auf den Tod meiner Eltern hoffen, um möglichst bald zu erben? Oder mit den anderen Losern, die es nie zu einem Eigenheim bringen werden, nach Nietenhausen ziehen?

Es war nicht leicht, eine neue Wohnung zu finden. Wir haben lange etwas genügend Abgerocktes gesucht: unsanierter Altbau, wo die Vermieter ihre Immobilie nicht zuallererst als Renditequelle begreifen, gern auch eine Genossenschaftswohnung. Wir hätten sogar noch einmal Dielen geschliffen und Tapeten gepopelt. Aber da, wo man noch mieten kann, haben die Eigentümer gerade selbst frisch tapeziert. Raufaser. Im Badezimmer haben sie Fliesen verlegt, gegen die niemand was haben kann, es sei denn, er hätte gern etwas Charmantes. Architektonische Schrullen wie das Frankfurter Bad – oft türlose Nasszellen im Wohnzimmer, in der Küche oder im Flur, die jede Kleinfamilie in die WG-Knie zwingt – haben sie beseitigt. Wir alle kriegen: Zentralheizung, Laminat, E-Herd-Anschluss.

Vielleicht werde ich eines Tages eine Tonne an den Main rollen. Und nur noch wollen, dass man mir aus der Sonne geht.

ERSCHIENEN AM 17. DEZEMBER 2015 IN DIE ZEIT
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