liebe zu dritt

Die neue Liebe hat alles, was das Herz begehrt: Intelligenz, Sexappeal, Humor. Und ein KIND. Kann das gut gehen? Unsere Autorin hat es selbst erlebt:
Ob der Dreier flott wird oder nicht, hängt von allen Beteiligten ab

Der Nachmittag vor unserer ersten Verabredung. Die braunen Halbstiefel mit dem Krokoprint? Riskant.

Wahrscheinlich liebt er Krokodile, wirft sich heulend auf den Boden und hasst mich, wenn ich die anziehe.

Turnschuhe? Zu anbiedernd, ich komm ja nicht zum Spielen vorbei (wenn er mich fragt, ob ich mit ihm kicken will, hasst er mich bestimmt auch, weil ich das nicht kann, jedenfalls nicht gut). Absatzschuhe? Dann reicht er mir bis zu den Knien. Flipflops? Clogs? Gummistiefel?

Herrje. Meine Freundin Andrea, menschliche Insel inmitten eines textilen Meers aus verworfenen Pullovern, Hosen, Röcken und Kleidern, runzelte die Stirn. »Mach doch nicht so ein Riesendrama draus. Das Kind ist sechs Jahre alt.« »Aber was«, fragte ich, »mach ich denn, wenn es mich hasst? Wenn es vor mir ausspuckt und sagt: Du bist die hässlichste Kuh, die ich in meinem ganzen Leben gesehen hab, geh weg! Was mach ich, wenn der Sohn des Mannes, in den ich mich gerade verliebt habe, mich nicht leiden kann?« Andrea sagte: »Interessant ist doch auch: Was machst du, wenn du ihn nicht leiden kannst?« Diese Option hatte ich bisher nicht in Betracht gezogen.

In den Mann, der heute mein Freund ist, war ich schon früher mal verliebt. Ich war fünfzehn, er 21 – es passte nicht. Fünfzehn Jahre später lief ich ihm beim Einkaufen über den Weg.

Wir verabredeten uns zum Kaffeetrinken, saßen an einem kleinen Marmortisch und glichen unsere Lebensläufe ab, was passiert war im Lauf der vergangenen Jahre. Er erzählte, dass er mit BWL nach einem Semester aufgehört hatte (uff!), um Politikwissenschaften zu studieren (yes!). Dass er im gleichen Stadt teil wohnt wie ich, Blumfeld mag und einen alten Citroën fährt, Single ist. »Und dann hab ich noch einen Leon.« Ich verstand zwar sofort, dass damit ein Kind, sein Kind, gemeint war, wir sprachen auch über ihn, aber ich kann mich nicht daran erinnern, dass mir das in diesem Moment sehr zu denken gegeben hätte. Er hat also ein Kind. Na und? Wir waren ja nur Kaffee trinken. Im Lauf der Inkubationszeit zwischen zweiter Verabredung und Liebeserklärung habe ich selten darüber nachgedacht, was das für mich bedeutet, für uns: einen Leon haben. An drei, vier Abenden die Woche konnte er abends nicht, weil das Kind da war. Wenn wir uns sahen, waren wir allein. Bis zum ersten Date.

Mit Anfang zwanzig überraschen uns neue Partner am Anfang einer Beziehung in der Regel mit vergleichsweise harmlosen Bekenntnissen:

Ich hab Schweißfüße. Früher mochte ich Peter Maffay. Ich wähl die Grünen. Je älter wir werden, desto mehr wächst die Wahrscheinlichkeit, dass der Mensch, in den wir uns gerade heftigst verlieben, mit einer wesentlich einschneidenderen Information aufwartet: Ich hab übrigens ein Kind.

Sich in einen allein- oder halberziehenden Vater zu verlieben, ist ein bisschen so, als würde man morgens die Wohnungstür aufmachen, um die Zeitung aus dem Briefkasten zu holen, und auf einmal steht ein Knirps auf der Matte, der sagt: »Guten Morgen, Mutti! Wo ist denn hier das Kinderzimmer?« Es gibt keinen Teststreifen, der sich rosa einfärbt und einen neunmonatigen Countdown startet. Es gibt keine Gespräche darüber, ob der Zeitpunkt passt, wie man sich das Leben zu dritt vorstellt, ob man es sich überhaupt vorstellen kann. Eben noch war man allein, und noch ehe man das Glück der Zweisamkeit richtig fassen kann, ist man schon zu dritt. Wenn man schwanger wird, ist die Entscheidung für ein Kind meist innerhalb der Beziehung gefallen, gemeinsam. Wer später dazukommt, muss sich einsam entscheiden – zwischen »beide« oder »keiner«.

Ich hatte dann flache Wildlederschuhe an den Füßen, mit donaldesken Absätzen. Das Kind turnte am Gartenzaun, während ich mich innerlich zu meinem festen, aber freundlichen »Hallo!« beglückwünschte, tantige Na-kleiner- Manns und Ich-hab-schon-viel-von-dir- Gehörts umschiffend. Er grinste mich an, ließ zwei Lücken erkennen, wo bis vor wenigen Tagen Schneidezähne gesessen haben mussten (jedenfalls hoffte ich das), und kletterte durch das offene Fenster im Erdgeschoss ins Wohnzimmer. Da saßen wir dann. Das Lächeln meines Freundes wirkte entspannt, meines fing an, im hinteren Kieferbereich zu schmerzen. Das Kind hielt sich mein Handy an sein rechtes, das seines Vaters an sein linkes Ohr und lachte sich tot. Die Heiterkeit verteilte sich langsam im Wohnzimmer. Beim Kind, weil es seine Stimme aus sich herauskommen und auf seinem linken, respektive rechten Ohr hören konnte. Bei meinem Freund, weil sich das Kind freute. Und bei mir, weil ich dachte, dass ich vielleicht doch nicht Fußball spielen muss. »Transparenz! Keine Phantome!« Der Aachener Psychoanalytiker Micha Hilgers, selbst halb-erziehender Vater von zwei Söhnen, rät dazu, die Begegnung mit dem kleinen Unbekannten nicht allzu lange hinauszuzögern. »Das meiste kriegen die Kinder sowieso mit, selbst wenn man versucht, es ihnen zu verschweigen.

Und dann: kein großes Event daraus machen. So niedrig wie möglich hängen, am besten mit einer Aktivität verbinden, nicht einfach nur einander gegenübersitzen.« Authentisch sein sei das Allerbeste, Interesse zeigen, ohne eine Interessengemeinschaft mit dem Kind vorzutäuschen, wenn sie nicht vorhanden ist. Nun.

Ich hätte sowieso keine Chance gehabt. Im ersten gemeinsamen Urlaub machte ich mich zum Vollidioten, weil ich nicht in der Lage war, in einem Labyrinth die Star-Wars-Protagonisten den entsprechenden Laserschwertern zuzuordnen, weil ich damals nicht mal wusste, wie der kleine grüne Mann mit den großen Ohren heißt. Umgekehrt zeigte das Kind wenig Interesse daran, mit seinen Plastiksoldaten die Invasion in der Schweinebucht nachzustellen. »Einfach normal sein«, rät Hilgers. »Alles jenseits von normal registrieren Kinder sehr schnell. Wenn man sich unsicher fühlt, dann ist man eben unsicher.« Leichter gesagt als getan, denn der Druck ist enorm, riesig, schlimmer als Abitur, Führerschein- und Diplomprüfung zusammen. Du kannst die Schwiegereltern blöd finden. Den besten Freund, die beste Freundin, Hund und Katze. Aber wenn es mit dem Kind nicht klappt, hast du wirklich ein Problem. Keine Ablehnung wird dir dein neuer Partner so übel nehmen wie die seines Kindes, weil er sich mit keinem anderen Menschen so stark identifiziert.

Die Entscheidung für einen Partner mit Kind ist eine Entscheidung für einen Partner und eine Katze im Sack. Und niemand weiß, ob sie kratzt oder schmusen mag, wenn man den Sack öffnet.

Hilgers: »Es kommt sehr darauf an, ob es dem Partner mit Kind gelingt, sich beiden gegenüber loyal zu verhalten.« Dem Kind zu signalisieren:

Dein Platz als Kind ist dir sicher. Dem Partner: dein Platz als Partner aber auch. Was geteilt wird, sind nicht die Positionen im Leben des Elternteils, sondern bestenfalls die Zeit. Und das an sich ist oft schon schwierig genug, weil es den kinderlosen Partner mit einem gerüttelten Maß an Ohnmacht konfrontiert.

Die meisten Verhandlungen mit dem Kind werden über den Vater, die Mutter, vielleicht auch über beide laufen, jedenfalls nicht über denjenigen, der an der Zeugung nicht beteiligt war, der auf die Erziehung weder einwirken kann noch sollte – aber die Konsequenzen mittragen muss. Umgekehrt steht es dem Kind nicht zu, Einfluss auf die neue erwachsene Partnerschaft zu nehmen, was es im Übrigen auch völlig überfordern würde.

Eine lange Weile dachte ich: Na ja, es ist halt sein Kind, und solange wir einigermaßen miteinander klarkommen, hab ich sowieso nicht viel damit zu tun. Aber natürlich gibt es die Partys, zu denen ich allein gehen oder komplett darauf verzichten muss, weil das Kind da ist. Natürlich hat man sich in der Zeit, als alle Freunde ringsrum anfingen, Nachwuchs zu zeugen, über den Wegfall der vertrauten Abendbegleitung hinweggetröstet, indem man sich sagte: Wenigstens kann ich immer noch morgens um vier Sex auf meinem Schreibtisch haben, wenn mir danach ist, dabei schreien wie am Spieß und Stifte durch die Wohnung werfen. Und: Natürlich steckt man sich irgendwann freiwillig ein Kissen in den Mund. Natürlich kann ich nicht mit meinem Partner in eine andere Stadt ziehen, weil er nicht ganz, sondern nur halb allein erzieht und wir mittlerweile zu sechst umziehen müssten, wollten wir das unmittelbare Umfeld erhalten.

Du trägst die Einschränkungen mit – ohne emotionale Gratifikation. Eltern strahlen unter Augenrändern, wenn das Kind nach einer durchweinten Nacht am nächsten Morgen aufsteht und sagt: »Ich hab dich lieb!« Du stehst mit Augenringen daneben, und wenn du Pech hast, hörst du: »Meine Mama ist viel schöner als du.« Dabei weiß ich, dass wir Glück gehabt haben.

Die Eltern des Kindes haben sich im Einverständnis getrennt, nicht wegen mir. Das Kind sagt nicht, dass ich ihm gar nichts zu sagen habe, weil ich nicht seine Mutter bin. Vielleicht auch, weil ich selbst mir als Scheidungskind sehr klar darüber bin, was ich ihm zu sagen habe und was nicht. Es muss kein schlechtes Gewissen haben, weil es mich mag. Ich bin nicht rasend eifersüchtig, und das Kind sieht seiner Mutter nicht so ähnlich, dass es für einen eifersüchtigen Menschen zum Problem werden könnte. Das Kind ist ein Junge, neigt zur Solidarität mit dem Vater, nicht zum töchterlichen Wegbeißen. Es lebt die Hälfte der Zeit bei seiner Mutter, die andere Hälfte der Zeit bei seinem Vater, also bei uns, wodurch wir über Tage, manchmal Wochen der Zweisamkeit verfügen. Mein Partner schließt nicht aus, noch ein weiteres, gemeinsames Kind zu haben, was keine Selbstverständlichkeit ist – ebenso wenig wie meine Überzeugung, dass es mir nichts ausmacht, wenn er nicht mit mir zum ersten Mal Vater werden würde. Entscheidungen, die das Kind betreffen, fälle ich zwar nicht unmittelbar mit, aber ich weiß, dass meine Meinung Gewicht hat.

Mir ist wichtig, dass die beiden Zeit miteinander verbringen, ohne dass ich dabei bin. Der Campingklassiker an Pfingsten findet ohne mich statt, zugegeben: kein großes Opfer.

Manchmal hat das mit Trägheit zu tun, und ich bin froh, dass ich mich nicht kümmern muss, wenn das Fußballturnier am Sonntagmorgen um neun Uhr beginnt, oft genug aber auch mit einer bewussten Entscheidung. Nicht nur, um den beiden Raum zu lassen, sondern auch, weil ich Raum für mich haben will.

Eltern kennen den Mechanismus, dass die Geburt eines Kindes viel Reflexion über das Verhältnis zu den eigenen Eltern freisetzt. Kinderlose erleben Ähnliches, wenn sie sich in einen Partner mit Kind verlieben. Dabei kann es, so Hilgers, für den Kinderlosen leichter sein, sich seiner Vergangenheit zu stellen, wenn er eben nicht »mitten im Getümmel« steckt. Trotzdem: »Die Chance, dass blind agiert wird, ist groß, und die Wahrscheinlichkeit, dass daraus ein Konflikt entsteht, eben so.« Kinder, so Hilgers, erfordern immer ein hohes Maß an Reflexion derer, die an den das Kind betreffenden Beziehungen beteiligt sind.

Wir haben uns einen Wolf reflektiert. Stundenlang in der Küche gesessen, über alles geredet, uns nach langem Für und Wider dazu entschlossen zusammenzuziehen, ein großes Wagnis für mich, nach fünf Jahren allein, selbstständig und weitgehend zufrieden.

Nach der Wohnungsbesichtigung fuhren wir zu McDonald’s, und ich sagte irgendwas, das ich für tapfer hielt, von wegen »Ausflug der kleinen Familie«. Das Kind, das bis zum Parkplatz auf meinem Schoß gesessen hatte, drehte sich um und sah mich an: »Du bist nicht meine Familie.« Was tun, wenn man weiß, dass das nicht böse gemeint ist, und trotzdem mitten ins Herz trifft? Der Tipp des Analytikers: »Man sollte sich als kinderloser Partner mindestens fünf Mal am Tag vor den Spiegel stellen und sagen: Ich bin nicht gemeint.« Er grinst. »Das ist nur bei hysterischen Menschen kontraproduktiv, weil das für sie ja das Schlimmste ist, was passieren kann: nicht gemeint zu sein.« Nöte und Konflikte lassen sich innerhalb einer Paarbeziehung nur schwer zu zweit lösen, wenn mehr als zwei zur Beziehung gehören.

Es gibt eine Schnittmenge – und zwei Beulen, die nach rechts und links verweisen, Themen, über die man reden kann und trotzdem weitgehend allein damit bleibt. Das muss man wissen.

Andererseits sind Eltern-Partner Menschen, die zumindest einmal in ihrem Leben bewiesen haben, dass sie Verantwortung übernehmen können, ein Bonus, der auch dem kinderlosen Partner zugutekommt. »Das Leben wird bunter und reicher in solchen Beziehungen«, sagt Hilgers. »Allerdings nicht un – bedingt einfacher. Herausforderung, Chance und Gefahr liegen dicht beieinander.« Mit meinem Freund habe ich bei 180 Prozent begonnen und mich bei 120 Prozent eingepegelt.

Das Verhältnis zum Kind fing an bei null und wuchs langsam. Immer weiter. Im Sommerurlaub habe ich mit dem Kind am Strand gesessen. Wir haben unsere Zehen in den Sand gebohrt und gefüßelt. Ich habe das Kind, das bald kein Kind mehr sein wird, gefragt, ob es sich noch daran erinnern kann, dass es keine Schneidezähne hatte, als wir uns das erste Mal gesehen haben. Das Kind hat gegrinst und den Kopf geschüttelt. Es sagte: »Du hattest komische Schuhe an, die sahen aus wie die von Donald Duck.«

Karin Ceballos Betancur lebt mit ihrem Freund und dessen Sohn Leon in Frankfurt. Ohne ihn wüsste sie heute nicht, wie bei Star Wars der kleine grüne Mann mit den großen Ohren heißt

erschienen im Dezember 2008 im NEON Magazin
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