zwischen allen fronten

Ingrid Betancourt ist verschwunden. Vor einer Woche wurde die kolumbianische Präsidentschafts-Kandidatin von der marxistischen Farc-Guerilla entführt. Im Januar hatte sich eine Reporterin des FR-Magazins mit Ingrid Betancourt in Bogota getroffen. Porträt einer streitbaren Politikerin.

Irgendwo in Kolumbien wird auch an diesem Wochenende ein Mensch sterben, der sich nicht mit den Verhältnissen abfinden wollte. Vielleicht weil er glaubte, in einem Dorf in der Provinz für die Menschenrechte eintreten zu müssen, weil er bei einer Wahl für die falsche Liste kandidierte, vielleicht weil er beschlossen hatte, einer Gewerkschaft beizutreten, oder weil er sich nur ein Busticket, keinen Flugschein für die Reise von Medellin in die Landeshauptstadt Bogota leisten konnte. Sollte er zusammen mit, sagen wir: zehn Landsleuten oder einem Europäer erschossen werden, wird er als Zahl in den Meldungsspalten ausländischer Zeitungen erscheinen. Wenn nicht, taucht er erst am Monatsende in der Statistik auf. 334 der insgesamt 600 Morde pro Monat sind nach Angaben der Juristen-Organisation »Comision Colombiana de Juristas« politisch motiviert.

Bogota, Mitte Januar: Ingrid Betancourt verlässt ihr Haus in Begleitung von 15 Bodyguards. Seit sie für die Präsidentschaftswahlen im kommenden Mai kandidiert, arbeiten 30 Sicherheitsbeamte in Schichten, um die 40-Jährige zu schützen. Zu Terminen fährt sie im gepanzerten Geländewagen, vor ihr ein schweres Fahrzeug zum Räumen, sollte dem Konvoi der Weg abgeschnitten werden, hinter ihr ein Jeep mit vier Leibwächtern, von denen zwei mit dem Gesicht zur Heckscheibe auf der Rückbank sitzen und Maschinengewehre auf den Knien halten. Polizisten auf Motorrädern begleiten die Wagenkolonne und halten ihr den Weg frei.

Gefährlich ist der Alltag für jeden in Kolumbien. Seit mehr als 50 Jahren leben die Menschen im Bürgerkrieg. Die Fronten verlaufen so lückenlos, dass sie das Land von der dreifachen Größe Deutschlands fast hermetisch umschließen und seine Bevölkerung vor die Wahl zwischen Schweigen, Exil oder wahrscheinlichem Tod stellen. Zwei starke Guerilla-Organisationen gibt es, die Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia (Farc) mit 25 000 Mitgliedern und das kleinere Ejercito de Liberacion Nacional (ELN) mit 5000 Kämpfern. Die Großgrundbesitzer halten sich paramilitärische Gruppen, die sich 1995 zu den Autodefensas Unidas de Colombia (AUC) zusammen geschlossen haben und heute etwa 7000 Mitglieder zählen. Die Drogenbosse paktieren mit allen und niemandem und hetzen ihre Schergen selbst gegeneinander auf. Korrupte Politiker beauftragen Todesschwadronen, die Regierung beugt sich der Gewalt.

Erstaunlich, dass Ingrid Betancourt aufgegeben hat, wofür viele Kolumbianer tagelang vor den Konsulaten in der Hauptstadt Schlange stehen: ein Leben im Ausland, in Sicherheit und Wohlstand. Ingrid Betancourt lebte das Leben einer Diplomatengattin im Paradies. 1989 trennte sie sich von ihrem ersten Mann, damals französischer Botschafter auf den Seychellen, und kehrte nach Kolumbien zurück, um in die Politik zu gehen. Ihre beiden Kinder ließ sie beim Vater zurück, in Sicherheit. »Ich konnte dort nicht leben mit dem Wissen, was die Menschen hier in Kolumbien durchmachen. Ich wollte aufgrund meiner Herkunft, meiner Möglichkeiten, Türen zu öffnen, dazu beitragen, Dinge in meinem Land zu verändern«, sagt sie.

Ingrid Betancourt sitzt in ihrer Wahlkampfzentrale in Bogota an der lauten Carrera 7, der Straße, auf der sie einmal einem Anschlag nur knapp entging. Attentäter hatten ihrem Wagen den Weg versperrt und versucht, auf sie zu schießen. Sie ist eine zierliche Frau, die ruhig spricht und die Stirn dabei so oft in Falten legt, dass es verwundert, dass ihre Mimik kaum Spuren in ihrem Gesicht hinterlassen hat. Einem Gesicht, das wenig verrät von der Durchsetzungskraft und der Beharrlichkeit, mit der Ingrid Betancourt binnen weniger Jahre politische Karriere in einer Gesellschaft gemacht hat, in der Machismo zum guten Ton gehört.

Anfang der 90er Jahre schloss sich Ingrid Betancourt der liberalen Partei an. 1994 kandidierte sie bereits für einen Sitz im Staatsparlament. »Die Korruption ist die Aids-Krankheit Kolumbiens.« Mit diesem Slogan zog sie seinerzeit durch die Straßen und verteilte Kondome an Autofahrer und Passanten mit den Worter.: »Damit Sie sich am Wahltag an mich erinnern.« Ihr Talent zur Selbstdarstellung, ihr Sinn für Aufsehen erregende Aktionen verhalfen ihr auf Anhieb zum Sprung ins Parlament. Auch dort sorgte sie bald für Aufruhr. Sie prangerte illegale Waffenschiebereien der Regierung an, nannte im Fernsehen Namen von korrupten Parlamentariern. Im Kongress forderte sie immer wieder, gegen den damaligen Präsidenten ErnestoSamper zu ermitteln, der unter dem Verdacht stand, seine Wahlkampagne mit Geld des berüchtigten Drogenkartells von Cali finanziert zu haben. Sie sei hysterisch, schrieben kolumbianische Zeitungen damals über Ingrid Betancourt, wo männliche Kollegen als streitbar bezeichnet worden wären. Sie ließ sich nicht einschüchtern und trat schließlich in Hungerstreik, um die Staatsanwaltschaft zum Handeln zu zwingen. Um sich unabhängig zu machen, kehrte sie wenig später den Liberalen den Rücken und gründete OxigenoVerde, eine Art grüne Partei.

Viele von Sampers Gefolgsleuten sind längst überführt, ob der Ex-Präsident von dem Mafia-Geld wusste, bleibt ungeklärt, was Ingrid Betancourt nicht daran hindert, den Vorwurf in ihrer Autobiografie Die Wut in meinem Herzen zu wiederholen. Es ist diese Hartnäckigkeit, die ihr viele Feinde macht, politische Feinde, die genug Macht und Mittel haben, um Mörder auf sie anzusetzen, aber auch Feinde in der Bevölkerung, die ihr vorwerfen, sich vor allem im Ausland als einsame Aufrichtige in einem Land von Kriminellen zu präsentieren. »Es fehlte nur noch, dass sie sich im Kongress auszieht«, lästert ein linker Politiker.

Ingrid Betancourt lacht, häufiger, als man sie im Fernsehen lachen sieht. Kolumbien ist ein sehr konservatives Land, sagt sie. »Hier werden viele Dinge, die gesagt werden müssten, verschwiegen, und das hat ein bisschen damit zu tun, dass Konfrontation hier als Unhöflichkeit empfunden wird. Wenn ich zu jemandem sage: Sie haben gestohlen, wird man mir nicht antworten: Beweisen Sie es. Man wird sagen: Sie sind sehr unhöflich. Wie können Sie etwas so Hässliches sagen.« Die Frau ist mit den Spielregeln der politischen Klasse vertraut. Ihr Vater, Gabriel Betancourt, war Diplomat in Frankreich und Bildungsminister in Kolumbien. Ihre Mutter, Yolanda Pulecio, früher mehrfach Schönheitskönigin, arbeitete als Abgeordnete der liberalen Partei und gründete fünf Heime für Straßenkinder in den Elendsvierteln der Hauptstadt, wo die Jungs »Mami« rufen, wenn ihr Wagen in den Hof rollt.

Ingrid verbrachte ihre Kindheit in Frankreich, besuchte als Jugendliche in Bogota das französische Gymnasium und studierte anschließend in Paris an einer Elitehochschule für politische Wissenschaften. Als Diplomatengattin lebte sie in Europa und Ecuador, bevor sie ihrem Mann auf die Seychellen folgte. Über einen kurzen Aufenthalt in Kolumbien im Sommer 1986 schreibt sie: »Ich habe keinen realen Bezug, dafür bin ich zu angefüllt mit Idealen, die durch die Entfernung und die Schuldgefühle genährt worden sind, zu sehr von einer halsstarrigen und naiven Liebe für ein Land erfüllt, dessen Leid ich zwangsläufig nie geteilt habe.«

Drei Jahre darauf leitete ihre Mutter den Präsidentschaftswahlkampf von Luis Carlos Galan, einem Kämpfer gegen Drogenmafia und Korruption. Als er am 18. August 1989 bei einem öffentlichen Auftritt in Bogota ermordet wurde, entging Ingrids Mutter dem Attentat nur durch Zufall, weil sie auf dem Weg vom Wagen zur Tribüne stolperte und nicht an seiner Seite stand, als die Schüsse fielen. Sie sagt, sie habe manchmal Angst um ihr Tochter, aber sie werde sie nicht von der Kandidatur abhalten. »Ich glaube an Gott«, sagt Yolanda Pulecio.

In ihrer Autobiografie erzählt Ingrid Betancourt von ihrem politischen Kampf gegen die Korruption, von ihrem Leben unter ständiger Bedrohung. In Frankreich wurde das Buch kurz nach Erscheinen zum Bestseller. Kürzlich ist es in deutscher Übersetzung erschienen. Betancourt schreibt von Morddrohungen, von Fotos zerstückelter Kinderleichen, die sic in ihrer Post fand. Doch Angst, sagt sie, habe sie nur um ihre beiden Kinder im Ausland. Bei einer Wahlkampfveranstaltung konnte unlängst ein Attentat auf den Linken Luis Eduardo Garzon vereitelt werden. Vor fünf Wochen erzählte der Kandidat der liberalen Partei, Horacio Serpa, vor laufenden Kameras, wie er wenige Stunden zuvor einen Anschlag überlebt habe. Für ihn und die beiden anderen Favoriten der Wahlen, den ultrarechten Alvaro Uribe Viez und die blasse Noemi Sanin von der unabhängigen Bürgerbewegung Si Colombia, arbeiten jeweils 100 Sicherheitsbeamte im Schichtdienst.

Mord gehört zum Wahlkampf wie die T-Shirts, die Wahlhelfer auf dem Land an Bauern verteilen, wie Braten und Aguardiente, mit denen sie um Stimmen werben, wie die Gewehre, mit denen Paramilitärs in den von ihnen beherrschten Gebieten an Haustüren klopfen. Uribe Velez, politische Galionsfigur der Großgrundbesitzer, forderte seit langem den Einmarsch kolumbianischer Truppen in die so genannte entmilitarisierte Zone im Südosten des Landes, einer Region von der Größe der Schweiz, der eine Schlüsselrolle im Präsidentschaftswahlkampf und damit für die Zukunft Kolumbiens zufällt. »Farclandia« nennen die Medien diese Region, seit sie von der Fare-Guerilla beherrscht wird. Der Staat hat seine Soldaten vor drei Jahren von dort abgezogen. Ein Zugeständnis des konservativen Präsidenten Andres Pastrana an die Guerilla, um deren Verhandlungsbereitschaft zu erhöhen. Im vergangenen Sommer legte eine Vermittlungskommission Regierung und Guerilla einen Friedensplan vor. Bis April wollten die Konfliktparteien einen Waffenstillstand erzielen. Jetzt hat der offene Krieg begonnen. Vor zehn Tagen flog die Armee Angriffe auf Stützpunkte der Farc.

Mitte Januar in Bogota. Ingrid Betancourt sitzt an ihrem Schreibtisch und beugt den Oberkörper vor. »Colombia Nueva«, neues Kolumbien, prangt auf ihrem blauen T-Shirt. »Das kolumbianische Establishment hat in der Vergangenheit zu oft gelogen und betrogen«, sagt sie. »Wenn wir uns hingesetzt haben, um mit der Guerilla zu verhandeln, haben wir ein schmutziges Spiel getrieben. Statt unsere Versprechen einzulösen, sind wir hin und haben sie getötet. Das ist das Drama einer Gesellschaft, die nicht verstanden hat, dass man Probleme nicht löst, indem man einander umbringt.«

Sie sieht in sozialen Reformen den einzigen Weg, den Farc den Boden zu entziehen. Im Süden hat die Guerilla in drei Jahren wenig zur Verbesserung der Lebensbedingungen beigetragen. Das Geld, das sie aus Kontrolle und Besteuerung des Drogenhandels in der Coca-Region schöpft, verschafft ihr ein militärisches Gewicht, doch der Rückhalt aus der Bevölkerung schwindet. Im vergangenen Oktober verlor der Kandidat der Farc in San Vicente del Caguan die Bürgermeisterwahlen – gegen den Kandidaten der Betancourt-Partei OxigenoVerde. Der allerdings ist bisher kaum in Erscheinung getreten.

Für die Präsidentenwahl gilt Ingrid Betancourt als Außenseiterin. Andererseits zählte sie auch 1998 nicht zu den Favoriten, als sie erstmals als Kongress-Senatorin kandidierte und trotzdem landesweit die meisten Stimmen auf sich versammelte. Zu Diskussionsforen mit Präsidentschaftskandidaten wird sie selten eingeladen. Ihre Autobiografie erschien zuerst in Frankreich, weil sie in Kolumbien keinen Verleger finden konnte. Man versuche, sie totzuschweigen, glaubt Ingrid Betancourt. Die Zeitschrift Semana immerhin widmete ihr vor kurzem eine Titelgeschichte, eine voller Sarkasmus. Eine Fotomontage verspottete sie als kolumbianische Jeanne d’Arc. Wie so oft traf Ingrid Betancourt der Vorwurf der Scheinheiligkeit. Sie hat damit zu kämpfen, dass sie selbst ein Kind jener politischen Klasse ist, die sie ständig attackiert.

Wenn Beatriz Helena Prada könnte, würde sie dafür sorgen, dass ihr Sohn in Kuba aufwächst, »damit er Ideale hat, damit er später weiß, wofür es sich zu kämpfen lohnt«. Die 33-Jährige arbeitet in der Jugendkampagne von Luis Eduardo Garzon, der für das Mitte-Links-Bündnis »Frente Social y Politico« kandidiert. Auf Ingrid Betancourt angesprochen, sagt Prada, was viele junge Linke denken: »Auf mich wirkt sie wie ein Mädchen vom französischen Lycéum, das soziale Revolution spielt. Sie hat ein ganz gutes Programm, aber sie bringt es nicht richtig rüber. Ihre Herkunft und ihre Sozialisation schaden ihrer Glaubwürdigkeit.«

Zudem gilt Ingrid Betancourt als besonders misstrauisch, weil sie sich nach allen Seiten abgrenzt. Von Naivität, von politischer Unreife sprechen selbst Menschen, die ihr wohlgesonnen sind und ihr Programm gutheißen. Betancourt sieht ihre Wähler in unterprivilegierten Bevölkerungsschichten, fordert eine Agrarreform für Kolumbien, wo 1,3 Prozent der Grundeigentümer 48 Prozent des Landes besitzen. Seit Jahren terrorisieren Paramilitärs die Landbevölkerung, jagen sie von ihrem Besitz und verkaufen die Ländereien weiter. Etwa zwei Millionen Menschen sind seit 1985 von ihrem Grund und Boden vertrieben worden.

»Es gibt Tausende von Fällen, in denen unsere Oligarchie sich Ländereien unter den Nagel gerissen hat«, sagt Ingrid Betancourt. »Sie gehen einfach hin, töten den Bauern, nehmen sich sein Land, und die Justiz unternimmt nichts, weil es wichtige Leute sind: Senatoren, Minister. Die soziale Schuld, die wir in Kolumbien auf uns geladen haben, ist unser wahres Problem.«

Kolumbien ist eine der ältesten Demokratien Lateinamerikas, die Verfassung garantiert den 35 Millionen zumeist unter der Armutsgrenze lebenden Bürgern einen sozialen Rechtsstaat. Dennoch wird ein regelgerechter Ablauf der Präsidentschaftswahlen im Mai wesentlich vom Einfluss eigens bestellter internationaler Beobachter abhängen. Konservative und Liberale, die beiden großen Volksparteien, kaufen seit jeher Stimmen, und manchmal begleiten ihre Aktivisten die Wähler in die Kabinen, um beim Ankreuzen behilflich zu sein. »So lange wir nicht unser System säubern, werden wir keine wirkliche Demokratie haben«, sagt Ingrid Betancourt. »So lange wir keine Justiz haben, die funktioniert, keinen Kongress mit fähigen, ehrlichen Leuten, keine Regierung, die durch ehrliche Wahlen an die Macht gekommen ist, so lange wird dieses Land das Paradies des Drogenhandels sein.«

Bogota, Ende Januar. An einer roten Ampel an der Kreuzung von Carrera 7 und Galle 72 stürmen Journalisten, Sicherheitsbeamte und Aktivisten in weißen T-Shirts auf die stehenden Autos zu. Ingrid Betancourt schiebt ihren Kopf in ein offenes Wagenfenster. Sie drückt dem Fahrer Viagra in die Hand. »Damit die Kolumbianer nicht länger unbefriedigt sind. Damit wir das Leben und die Beschäftigung hoch kriegen. Damit der Frieden wächst. Geben Sie Kolumbien Viagra. Wählen Sie mich.« Der ältere Mann am Steuer senkt den Blick auf die Pille und lächelt verlegen, bevor er sich als Anhänger zu erkennen gibt. Ingrid Betancourt küsst ihm die Hand, als die Ampel auf grün springt.

Epilog

Mitte Februar, im Südosten Kolumbiens. Trotz der Angriffe des Militärs auf die Farc-Rebellen fährt Ingrid Betancourt in die Guerilla-Hochburg. Sie will in der Provinzhauptstadt San Vicente del Caguan eine Kundgebung besuchen, will der Farc ihren Willen zum Dialog demonstrieren. Die Fahrt vom Flughafen in Florencia nach San Vicente dauert drei Stunden, auf mehr oder weniger asphaltierten Straßen, vorbei an grünen, dicht bewaldeten Bergen. Wenn die Armee mehr als drei Kontrollposten am Straßenrand aufbaut, um Papiere und Fahrzeuge zu kontrollieren, zieht sich die Fahrt.

Ingrid Betancourt verlässt Florencia am vorvergangenen Donnerstag um die Mittagszeit in einem Lieferwagen, ohne Bodyguards, nur in Begleitung ihrer Wahlkampfleiterin Clara Rojas, eines Mitarbeiters und zweier ausländischer Journalisten. Gegen 15 Uhr passiert der Wagen den letzten Armeekontrollposten, heißt es in einer offiziellen Stellungnahme der Regierung. Der Wagen kommt nie in San Vicente an. Zwei Tage später teilt ihr Büro in Bogota mit, Ingrid Betancourt und Clara Rojas seien von Rebellen der Farc entführt worden. Seither fehlt von Ingrid Betancourt jede Spur.

Drei Tage zuvor waren Kampfflugzeuge und Hubschrauber der Armee Luftangriffe auf Guerilla-Stützpunkte im Südosten geflogen. Bei den Angriffen wurden mindestens drei Zivilisten getötet. Die Farc antworteten mit Sabotageakten und Geiselnahmen. Bei einem Attentat auf einen Provinz-Bürgermeister werden zwei Leibwächter getötet, der Politiker überlebt. Das Militär wiederum rückt gegen die Rebellen vor. Die »entmilitarisierte Zone« ist Geschichte, Kolumbien ist zum offenen Krieg zurückgekehrt.

Die Regierung begründet ihre Angriffe mit Sabotageangriffen der Guerilla in den Wochen davor, vor allem aber mit einer Flugzeugentführung, bei der ein Senator verschleppt worden war. Die Farc hatten ihre Beteiligung bestritten. Es wäre nicht das erste Mal, dass die Paramilitärs der Großgrundbesitzer versuchen, die Verantwortung für eine ihrer Aktionen der Guerilla zuzuspielen und die Regierung dadurch zum Handeln zu zwingen oder ihr einen Vorwand zu liefern.

Zur Entführung Ingrid Betancourts haben sich die Farc mittlerweile bekannt. Sie fordern die Freilassung von vier gefangenen Rebellen. Die Regierung lehnt ab, eine Militäraktion zur Befreiung der Entführten lässt Präsident Pastranas auf Wunsch von Betancourts Familie abbrechen. Nichts solle das Leben der 40-Jährigen gefährden.

Die Polizei in Florencia habe ihr von der Reise abgeraten, teilte die Regierung dieser Tage mit. Es passt zu Ingrid Betancourt, dass sie sich nicht abhalten ließ, selbst dann nicht, als die Regierung ihr keinen Militärhubschrauber für die Reise stellte. Wegen der Kämpfe sei der Flug zu gefährlich, hatte die offizielle Begründung gelautet. So fuhr Ingrid Betancourt mit einem Wagen ohne Begleitschutz mitten in die Frontlinie.

Die kolumbianischen Tageszeitung EI Tiempo schreibt, Ingrid Betancourts Wagen sei von zwei umgestürzten Bussen aufgehalten worden, einer Guerilla-Sperre. Im Laufe der Kontrolle sei einer der Guerilleros auf eine Mine getreten, woraufhin das Auto samt der fünf Reisenden beschlagnahmt worden sei, um den Verletzten abzutransportieren. Später, an einem Stützpunkt der Guerilla, seien Betancourt und Rojas von den beiden Journalisten und dein Mitarbeiter Ingrid Betancourts getrennt und die drei Männer fortgeschickt worden. Die Zeitung beruft sich auf ihre Aussagen. Als der Guerillero auf die Mine getreten ist, soll Ingrid Betancourt geschrieen haben: »Dieser Krieg ist eine große Scheiße.«

erschienen im März 2002 in der Frankfurter Rundschau
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