Neulich brauchte ich Eheringe. Bei meiner Suche war ich eher zufällig auf einen Goldschmied in Hamburg-Altona gestoßen, bei dem man, wie wir im Laden erfuhren, zwischen verschiedenen Material-Varianten wählen kann. Es gab drei Golds, gewissermaßen.
Bei Ringen aus »Fairmined Eco Gold« sei sichergestellt, dass bei der Gewinnung weder Kinder beschäftigt werden noch giftige Chemikalien zum Einsatz kommen, erklärte eine Mitarbeiterin. Die Goldschürferinnen und Goldschürfer arbeiten gleichberechtigt und erhalten faire Löhne. Fanden wir super. Bei Ringen aus »Fairmined Gold« sei es so ähnlich, nur mit Chemikalien – die allerdings so umweltschonend wie möglich entsorgt würden. Fanden wir nicht mehr ganz so super, nachdem wir erfahren hatten, dass es auch ohne Chemikalien geht. Man kann die Ringe auch aus recyceltem Gold von Kunden gießen lassen. Wir dachten Deutschland, wir dachten Raubgold, wir dachten wer weiß und entschieden uns dagegen. Soll ja an was Schönes erinnern.
Ringe aus Fairmined Gold kosten 10 Prozent mehr als recyceltes Gold; bei Ringen aus Fairmined Eco Gold sind es 20 Prozent Aufpreis. Fair enough. Mir leuchtet ein, dass man für Produkte, deren Herstellung aufwendiger und anständiger ist als das, was gemeinhin unter der Bezeichnung »konventionelle Methoden« läuft, mehr Geld bezahlen muss. Was mich beschäftigte, war ein anderer Gedanke: Ich fragte mich, warum ich auf das, was ich für selbstverständlich halten möchte, ausdrücklich hingewiesen werden muss. Warum dürfen Goldschmiede, die ohne zertifiziertes Edelmetall arbeiten, was vom schönsten Tag des Lebens faseln und die sozialen und ökologischen Kosten, die der Schmuck verursacht, einfach verschweigen? Müsste es nicht genau umgekehrt sein?
Der Gedanke kam mir beim Rauchen. Genauer gesagt: beim Betrachten meines Zigarettenpäckchens. Seit 2016 sind Tabakerzeugnisse in der EU mit Warnhinweisen und Schockbildern versehen, die grob geschätzt zwei Drittel der Verpackungsoberfläche einnehmen. Sie zeigen, was so passieren kann, wenn man raucht, was man als Raucher in der Regel aber auszublenden versucht: schwarze Zehen, Karzinome, schlechte Zähne. Man sieht verträumte Impotente, Frauen, die Blut husten, Kinder am Raucher-Krankenbett, Kinder am Raucher-Grab sowie ein Kind, das von einem Vater vollgeraucht wird, der dem jungen Jochen Distelmeyer verblüffend ähnlich sieht.
Ich finde das total richtig. Ich rauche ja selbst nicht in erster Linie gern, ich bin halt süchtig. Wenn die Ekel-Aufmachung auch nur einen jungen Menschen dazu bringt, mit dem Rauchen gar nicht erst anzufangen, halte ich das für eine sehr sinnvolle Maßnahme. Ich frage mich nur, warum das, was sich bei Zigaretten offenbar bewährt (die Zahl der Raucher sinkt seit Jahren), nicht auch bei anderen Produkten Anwendung findet. Und zwar gerade bei solchen, mit denen ich nicht am meisten mir selbst schade, sondern dem Rest der Welt.
Wie bei den Ringen zum Beispiel: Warum wird der Goldschmied, der ohne Zertifikate arbeitet, nicht dazu verpflichtet, beim Verkaufsgespräch ganz klar darauf hinzuweisen? Warum muss er kein Schild ins Schaufenster stellen, auf dem steht: »Bei der Gewinnung des Goldes für Ihre Eheringe kommen gefährliche Chemikalien zum Einsatz. Die Arbeiterinnen und Arbeiter sind nicht mit adäquater Arbeitskleidung ausgestattet und erhalten weniger als den ortsüblichen Durchschnittslohn. Ach, und in den Minen arbeiten vermutlich auch Kinder.« Was spricht dagegen? Mal abgesehen davon, dass viele sich die Ringe dann nicht mehr an die Finger stecken wollten. Aber das wäre ja ganz gut.
Auch wenn man es vielleicht nicht immer merkt, versuche ich doch im Allgemeinen, ein guter Mensch zu sein. Also: kein Schwein. Niemand, der auf Kosten anderer lebt – obwohl man das als Mitteleuropäer natürlich sowieso tut, global und strukturell betrachtet. Aber ich bin darum bemüht, es irgendwie in Grenzen zu halten. Das ist bloß gar nicht so einfach.
Seit einiger Zeit benutze ich beim Einkaufen eine App, mit der man Barcodes scannen und so die Inhaltsstoffe von Lebensmitteln und Kosmetikprodukten aufschlüsseln kann. Im Profil lassen sich Zusätze markieren, die man beim Einkauf unbedingt vermeiden möchte: Mikroplastik zum Beispiel (schlecht für die Umwelt), Palmöl (dito plus extraschlecht für die meisten Menschen in den Anbauländern) oder hormonell aktive Zusätze (direkt schlecht für mich).
Wer bei Kosmetikprodukten ohne Mikroplastik auskommen will und wie ich Probleme damit hat, sich die Begriffe Acrylate Copolymer, Acrylate Crosspolymer, Polyamide, Polymethylmethacrylate, Polyethylene, Polyethyleneterephthalate, Polypropylene, Polystyrene und Polyurethane einzuprägen, ist mit so einer App ziemlich gut beraten. Aber warum muss ich mir das alles mühsam zusammenscannen? Es wollen doch auch andere Menschen diese Zusätze meiden. Warum kann nicht einfach fett vorne draufstehen: »enthält Palmöl«, »enthält Mikroplastik«, »enthält Silikone«? In roter, von mir aus auch in schwarzer Schrift, mit einem schwarzen Kasten drum herum.
Ich habe mit der App auch den Inhalt meines Badezimmerschranks überprüft. Bei ihren Angaben stützen sich die Macher unter anderem auf Daten von Europäischer Kommission, BUND und Greenpeace. Meine Handcreme enthält CI 19140, einen Zusatz, von dem ein mittleres Gesundheitsrisiko erwartet wird, »Untersuchung ausstehend«. In meiner Bodylotion kommt Propylparaben zur Anwendung, das in Dänemark bei kosmetischen Produkten für Kinder unter drei Jahren verboten ist; bei Tieren wurden hormonelle Störungen und ein Rückgang der Spermienqualität dokumentiert. Das Paraffinum liquidum in meiner anderen Bodylotion steht im Verdacht, Krebs zu erregen.
Ich hätte gerne, dass das deutlich lesbar auf der Tube steht. Es wäre dort auch genug Platz, wenn man dafür den Hinweis »Cell-Moisturisers versorgen Deine Haut mit Feuchtigkeit und bringen sie zum Strahlen« wegließe.
Jetzt kann man es amüsant finden, wenn sich die regelmäßige Konsumentin eines Produkts, das ganz bestimmt krebserregend ist, Gedanken über möglicherweise krebserregende Zusätze in anderen Produkten macht. Ich sehe es anders. Das eine ist eine Sucht, von der zu lassen mir schwerfällt. Das andere sind Konsumgüter, die ich mit entsprechenden Hinweisen einfach nicht kaufen würde.
Eine Bodylotion zum Beispiel, die zu zwei Dritteln mit Bildern von illegal abgebrannten Regenwäldern in Indonesien (Palmöl), sterbenden Meerestieren (Mikroplastik) und Krebsgeschwüren (hormonell wirksame Zusätze) bedruckt wäre, würde eher nicht in meinem Einkaufswagen landen. Ich wäre sogar dafür, solche Produkte vollständig zu verbieten. Verbote sind okay und machen Sinn. In Innenstädten darf ja auch niemand 100 fahren.
Wir alle wissen, dass unser Konsum hohe Kosten verursacht, vor allem im globalen Süden. Wir denken bloß nicht gerne darüber nach. Ich verstehe das, ich bin Raucherin, ich weiß, wie Verdrängung geht. Aber während die Politik großen Furor beim Versuch entwickelt, mich vor mir selbst zu schützen, macht sie es Konsumenten verdammt leicht, ihr Wissen um die Folgen für den Rest der Welt beim Einkaufen auszublenden.
Nur so lässt sich erklären, dass in einer Studie des Bundesumweltministeriums 92 Prozent der Befragten angeben, sie hielten die Überfischung der Meere für ein großes bis sehr großes Problem, aber nur 37 Prozent bereit sind, ihren Fischkonsum zu reduzieren. Dass man versucht, Kinder beim Klimastreik mit lautstarker Zustimmung stummzukuscheln, und ständig von Flugscham die Rede ist, obwohl die Fluggastzahlen weiter steigen. Ebenso wie die Neuzulassungen von SUVs.
Es kann nicht angehen, dass wir weiterhin so tun, als hätten unser Konsum und unsere Lebensweise keinerlei Konsequenzen. Wenn wir die übelsten Auswüchse schon nicht durch Verbote verhindern wollen, wäre radikale Aufklärung das Mindeste.
Ich will Eierkartons, die Bilder von Hühnern in Legebatterien mit verschorften Wunden tragen. Ich will Impressionen verseuchter Flüsse auf jeder einzelnen der Milliarden von Nespresso-Aluminiumkapseln, die in Deutschland Jahr für Jahr verbraucht werden. Ich will, dass Fotos blau gefrorener Kinderhände darauf hinweisen, wer die Shrimps in Thailand aus der Schale gepult hat. Ich will Porträts ermordeter Arbeiter auf mexikanischen Avocados.
Wer dagegen nachweislich unter Wahrung von Umwelt- und Sozialstandards produziert, darf in Zukunft auf die ebenso hässlichen wie häufig fragwürdigen Bio-/Öko-/Nachhaltigkeits-Siegel verzichten. Und seine Ware in den zum Schlachtfeld gewordenen Supermarktregalen so hinweisfrei und schön präsentieren, dass man sie selbst dann besitzen möchte, wenn man sie gar nicht braucht. Genau wie heute also. Nur in gut.
Finden Sie alles ein bisschen drastisch? Kann ja jeder aufgeklärte Konsument wissen, wie die Waren produziert werden? Nun, dass Rauchen tödlich ist, kam 2016 auch für mich nicht völlig überraschend. Ich stehe nicht am Kiosk und denke: Rauchen verursacht Herzinfarkte?? Trotzdem finde ich es richtig, immer wieder darauf hingewiesen zu werden. Wird die Industrie nicht mitmachen, sagen Sie? Ich glaube nicht, dass Tabakkonzerne von der Richtlinie 2014/40/EU begeistert waren. Man müsste es eben politisch durchsetzen. Man müsste es durchsetzen wollen.
Ich habe mir auch schon was für andere Produkte überlegt. SUVs zum Beispiel, da ist ja jede Menge Platz drauf. Ich denke: Unfallstatistiken auf Fahrer- und Beifahrertür, Überschwemmungen, Wirbelstürme und ein wechselndes Set an Umweltkatastrophen quer über das Heck. Die Lackfarbe für das verbleibende Drittel Auto dürfen die Fahrer frei wählen. Sieht dann halt nicht mehr so cool aus. Aber ganz ehrlich: Rauchen war auch nie so cool, wie wir uns das früher eingeredet haben.