Impfling

So schöne Wörter kann nur Deutschland erfinden: Wir haben jetzt die »Bundesnotbremse« gezogen, und das heißt unter anderem: Ausgangssperre ab 22 Uhr bis morgens um 5, nur das Joggen bis Mitternacht hat irgendein begnadeter Landespolitiker als Ausnahme noch durchgesetzt. Gemessen an den griechischen Ausgeh-Regeln ist das ein Klacks, wird aber heftig diskutiert, was ich übrigens im Prinzip nicht schlimm finde, es geht schon auch um Grundrechte. Nur die Hysterie und die brutale Polarisierung, mit der das hier in Deutschland geschieht, machen mich fertig.

Jede Menge Tunnel also, aber vom Licht wollten wir reden. Bitte sehr: Ich bin geimpft. Das freut mich natürlich an sich schon mal sehr, auch wenn es bis zur Zweitimpfung dauert. Aber fast noch heller leuchtet für mich das, was ich im riesigen Frankfurter Impfzentrum sonst noch erlebt habe.

Ich weiß nicht, wie viele Leute das sind, die in der riesigen Festhalle am Messegelände Wege weisen, Unterlagen anschauen, wieder Wege weisen, Impfpässe stempeln und, ach ja: Menschen impfen. Und: lächeln. Ich habe selten so viel, so ausnahmslose, so unermüdliche Freundlichkeit auf einem Haufen gesehen. Ich kam aus dem Danke sagen gar nicht mehr raus. Ich dachte: Wenn das die Menschen sind, die die Entscheidungen und Nichtentscheidungen und Irrtümer und Fehler, die es ja auch jenseits des Diktatur-Geschreis an der Politik zu kritisieren gilt, exekutieren und ausbaden »dürfen« – dann fühle ich mich doch mal wieder so richtig zu Hause.

Mein Impftermin war nachmittags, und ich habe die freundliche junge Frau, die an diesem Sonntag ich weiß nicht wie viele hundert Unterlagen geprüft hat, gefragt, wie lange das für sie noch weitergeht. Um 22 Uhr ist der letzte Termin, um elf bin ich wohl hier raus, sagt sie. Und lächelt mit den Augen. Noch lange vor ihrem Feierabend habe ich zu Hause einen Schluck auf ihr Wohl getrunken.

Stephan Hebel
Unter dem Titel »Am Ende des Tunnels« wollen mein Freund und Kollege Stephan Hebel und ich uns in den kommenden Monaten in wöchentlicher Folge auf die Suche nach Lichtblicken machen, im Großen wie im Kleinen.

Zitronen

Das mit dem Licht ist oft gar nicht so einfach. Zumal man doch deutlich den Eindruck hat, dass viele sich der Tunnelhaftigkeit unserer gegenwärtigen Existenz nicht mal übermäßig bewusst sind. Die FDP zum Beispiel: Hat darin Poster aufgehängt, Teelichter angezündet, deklariert das Ganze als Partykeller und hat angekündigt, gegen nächtliche Ausgangssperren vor dem Bundesverfassungsgericht zu klagen. 

Herrje. Es gibt viele Situationen, in denen ich es als Einschränkung meiner Freiheitsrechte empfinden würde, mit einem Gurt fixiert zu werden. Aber mit Tempo 200 auf der Autobahn? 

Hier in Griechenland muss ich, wenn ich das Ferienhaus verlasse, ein Formular ausfüllen, auf dem anzukreuzen ist, aus welchem Grund man sein Haus verlässt und um welche Uhrzeit. Sie nennen es „Extraordinary Movement Permit“, weil moves in einer Pandemie halt nicht ordinary sein sollten, aber wem sag ich das. Zur Auswahl stehen: B1 Going to the pharmacy or visiting a doctor or to donate blood, in the case that this is recommended after a previous communication, B2 Going to an in-service basic goods supply store, where its commodities cannot be delivered, B3 Going to a government service or the bank, insofar an electronic transaction is not possible, B4 Going to help people in need or escort minor students to/from school, B5 Going to a funeral ceremony under the conditions as provided by law or movement of divorced or legally seperated parents, in accordance with the applicable provisions, B6 Short movement, near my home, for individual physical exercise (excluding any group sport activity) or for pet needs. Leider kommen die Straßenkatzen bei uns ans Haus. 

Ich müsste lügen, wenn ich behaupten würde, dass wir nach Griechenland gefahren sind, weil die Corona-Regeln strenger sind. Aber ich fühle mich tatsächlich deutlich sicherer. Natürlich gibt es auch hier Menschen, die sich nicht an die Auflagen halten. Aber immerhin gibt es welche. Und meines Wissens droht auch nicht alle Nase lang jemand mit Klage dagegen. 

Weil ich keine Lust habe, mich mit der Nachrichtenlage in Deutschland zu beschäftigen, habe ich am Wochenende ein Interview mit Nora Tschirner im SZ-Magazin gelesen. Ich finde Nora Tschirner ziemlich sympathisch. Sie wird darin unter anderem gefragt, ob sie sich noch ihre Auftritte bei Harald Schmidt ansehen kann, der sie mal eine der Top-3-Talkshowgäste in Deutschland genannt hat. Ich habe mir daraufhin einige dieser Auftritte bei Youtube angesehen, darunter auch diesen hier. 

Und obwohl mich wirklich genervt hat, dass direkt im Anschluss an Annalena Baerbocks Nominierung zur Kanzlerinnenkandidatin der Grünen bei Phoenix über ihr Alter (40 – was bei Politikerinnen offenbar ein Problem ist, bei Schauspielerinnen aber auch, nur ganz anders) und die Tatsache diskutiert wurde, dass sie Mutter zweier kleiner Kinder ist und wie man das bitte schaffen möchte, so als Kanzlerin (was in den vergangenen Pandemie-Monaten niemanden interessiert hat: wie Frauen das schaffen, als Mütter und Journalistinnen, Verkäuferinnen, Busfahrerinnen), obwohl mich wirklich genervt hat, dass Caren Miosga (die ich an sich auch ziemlich sympathisch finde) Annalena Baerbock beim ersten Tagesthemen-Interview nach der Nominierung innerhalb von fünf Minuten gleich drei Mal ins Wort fiel, obwohl mich wirklich nervt, dass so getan wird, als müsste man für diese Selbstverständlichkeit – dass eine Frau zur Spitzenkandidatin nominiert wird, wenn sie es kann und möchte – vor allem Robert Habeck auf Knien danken. 

Trotz alldem habe ich diese Aufzeichnung angesehen und dachte: mit dem Stuhl ganz nah an eine junge Frau rollen und sagen: „Ich habe gerade ein Buch gelesen, in dem sich eine 24-Jährige vollkommen einem 48-Jährigen ausliefert“ (hodiges Gelächter im Saal, Tschirner auf ihre nicht vorhandene Armbanduhr schauend) – das wäre heute so nicht mehr drin. Nicht ohne Shitstorm. Und dann hab ich eine Flasche Wein aufgemacht und auf die Cancel Culture getrunken. Weil ganz bestimmt nicht alles gut ist. Aber immerhin besser als vor 15 Jahren. Ein Lichtstrahl, finde ich.

P.S.: Ach so, Zitronen – um die geht es nicht. Aber Du glaubst ja nicht, wie viele hier wachsen!