Rip it up and start again

So. Hier hat so gut wie alles eine ganze Weile lang überhaupt nicht funktioniert, was mir vor ein paar Wochen eher zufällig auffiel, als ich mir mal wieder sagte, dass ich eigentlich mehr schreiben sollte, vor allem: könnte. Aber dann konnte ich doch nicht, weil die Webseite kaputt war. Jetzt ist sie zwar wieder erreichbar, dank der freundlichen Unterstützung von Frau Rietsch, aber ich fremdle noch ein bisschen mit dem arg minimalistischen Layout, für das ich mich vorübergehend entschieden habe (die alte Theme funktioniert nicht mehr, ugh).

Eigentlich würde ich gerne sowas wie einen wöchentlichen Newsletter schreiben, bin zB seit geraumer Zeit großer Fan dessen, was Nils Minkmar auf steady mit seinem Siebten Tag macht. Aber dann fällt mir wieder ein, dass ich eigentlich ziemlich faul bin und furchtbar gerne stricke. Und sticke. Und ich fürchte, wenn man bei steady mit viel Tam-Tam irgendwas ankündigt, dann muss man schon auch liefern. Deshalb dachte ich, ich könnte hier sowas wie eine Trockenübung versuchen. Merkt ja keiner. Und falls es klappt, falls ich mich ein kleines bisschen disziplinieren kann, dann geh ich rüber und spiel bei denen mit, die wenigstens ein bisschen Geld dafür bekommen. Stay tuned.

 

Brötchenlove

Seit fast 20 Jahren begleitet mich dieses Brötchen durchs Leben. Geschenkt haben es mir die Jungs vom Café Kante – zum 30. Geburtstag. Wir waren damals Nachbarn, ich wohnte in der Wohnung direkt über dem Café und mein Balkon war wie ein Logenplatz, auf dem ich saß und rauchte und manchmal schrieb, begleitet vom Tassen-Löffel-Klimpern unter mir. Es war eine fabelhafte Zeit, ich habe diese Nachbarschaft geliebt und wäre wahrscheinlich nie ausgezogen, hätten mir die Eigentümer nicht irgendwann wegen Eigenbedarf gekündigt.

Gestern beim Renovieren fiel mir auf, dass kleine Lebewesen mit Flügeln in das Brötchen eingezogen sind, was ein bisschen rätselhaft ist, nachdem sich jahrelang niemand dafür interessiert hat. Jedenfalls habe ich deshalb schweren Herzens beschlossen, dass sich unsere Wege nun trennen müssen. Danke für alles! Du warst ein gutes Brötchen! Und danke Habu, danke Norbert, danke Haki – für das wunderbare Geschenk, für die gemeinsame Zeit, für den Kaffee, die Herzlichkeit und den Trost, wenn ich ihn brauchte! ❤️

Corso

Es ist hier eine ganze Weile sehr still gewesen, was damit zu tun hat, dass ich seit unserer Rückkehr aus Griechenland zuhause einen Patienten im Bett liegen habe. Es ist kein Corona, aber trotzdem sehr schmerzhaft, und unter diesen Umständen fällt es dann noch schwerer, etwas zu finden, das leuchtet und gut tut. Aber jetzt, wo es langsam etwas besser geht, komme auch ich wieder zu mir und neulich abend war es dann plötzlich da, das Licht. Und es hupte. 

Ich muss vielleicht dazu sagen, dass ich mich für Fußball im Grunde überhaupt nicht interessiere. Null, nada. Den Unterschied zwischen Deutscher Meisterschaft und DFB-Pokal lasse ich mir jedes Jahr aufs Neue erklären, um ihn nur Augenblicke später wieder zu vergessen. Trotzdem habe ich mich in den vergangenen zehn Jahren von den sehr netten Kollegen von ZEIT online immer wieder dazu überreden lassen, während internationaler Wettkämpfe die Patenschaft für eine der teilnehmenden Nationalmannschaften zu übernehmen – während EMs für Portugal, während WMs für Argentinien. Und das ist eben das Irre: Obwohl mir Fußball eigentlich furchtbar egal ist, nehme ich mir, wenn ich es dann mit ansehen muss, die Spiele mit einer solchen Leidenschaft zu Herzen, dass ich manchmal nach herben Niederlagen ernsthaft in Tränen ausgebrochen bin. 

Nach dem Aus für Argentinien bei der WM 2018 habe ich mein Amt als Fußball-Patin offiziell niedergelegt. Aus Frust und auch ein bisschen aus emotionalem Selbstschutz. Und in diesem Jahr habe ich bisher tatsächlich kein einziges Spiel angesehen. Dass in diesen Tagen eine Fußball-Europameisterschaft ausgetragen wird, bemerke ich nur deshalb, weil man seit Wochen im Supermarkt wieder nicht mal eine scheiß Bockwurst ohne Schwarzrotgoldschallala kaufen kann. Mir ist der so genannte Party-Patriotismus schon immer auf die Nerven gegangen, aber in diesem Jahr begegnet er mir wenigstens nur, wenn ich einkaufen gehe. 

Weil ich einen Patienten zu versorgen hatte und mich unterdessen auf nichts richtig gut konzentrieren konnte, habe ich viel Zeit in unserer Küche verbracht und gestickt. Ich weiß nicht, wie ich darauf kam, es ist irgendwie passiert, und wenn es auch nicht viele praktische Gründe gibt, die für’s Sticken sprechen, dann doch immerhin diesen: Man muss sich nicht übermäßig konzentrieren und kann die Arbeit jederzeit problemlos unterbrechen. 

Und während ich so da saß und bei offenem Fenster die Tage durchstickte, fiel mir zum ersten Mal auf, dass sich in dieser Stadt tatsächlich nach jedem Spiel ein Corso durch die Straßen hupt. Mal sind es mehrere lärmende Wagen, manchmal nur eine Handvoll, die leise tröten, aber gehupt werden muss. Und wenn man das in seiner Küche auf sich wirken lässt und einem der ganze Fahnenkram erspart bleibt, dann zeigt dieses Schauspiel einfach nur, in was für einer unglaublich bunten kleinen Stadt wir leben. Und das, lieber Stephan, ist mir Licht.  

Unter dem Titel »Am Ende des Tunnels« wollen mein Freund und Kollege Stephan Hebel und ich uns in den kommenden Monaten in wöchentlicher Folge auf die Suche nach Lichtblicken machen, im Großen wie im Kleinen.

Bleistiftpeople

Ich habe eine Schwäche für Schreibwaren. Vor allem mag ich Füller und besitze sie in so grotesker Menge, dass es mir nicht gelingt, sie alle durch regelmäßigen Gebrauch vor dem Eintrocknen zu bewahren. Ein weiteres Problem ist: Füller mögen mich nicht, vor allem die zum Aufziehen. Egal was ich beim Schreiben anstelle, die Tinte landet in erheblichem Umfang an meinen Fingern. Und natürlich sind mir auf dem Weg nach Griechenland zwei Tintenfässer im Rucksack ausgelaufen. Ja: zwei. Eine Schwäche, wie gesagt. 

Wahrscheinlich bin ich einfach kein Füllermensch. Ich gehöre zu den Bleistiftpeople. Die Vorteile liegen auf der Hand: Die Finger bleiben sauber, man kann im Liegen schreiben und sich beim Spitzen einbilden, dass das, was man da treibt, tatsächlich was mit Handwerk zu tun hat. Vor allem aber erinnern mich Bleistifte an eine Begegnung, die zwar schon einige Zeit zurück liegt, aber immer noch leuchtet, wenn ich daran denke. 

Es war in Kalavryta, einer Kleinstadt in den Bergen der Peleponnes, wo die Wehrmacht am 13. Dezember 1943 ein Massaker verübte – eine »Sühnemaßnahme«, nachdem griechische Partisanen in der Umgebung deutsche Soldaten entführt und getötet hatten. In Kalavryta sperrten Soldaten am Morgen Frauen und Kinder in der Schule ein, ehe sie das Gebäude in Brand setzten. Die Männer hatte man zuvor auf einem Hügel über der Stadt zusammengetrieben, um sie zu zwingen, dem Morden zuzusehen, ehe sie selbst erschossen, erschlagen, ermordet wurden. Warum den Eingeschlossenen am Ende doch die Flucht aus der Schule gelang, ist nicht genau überliefert. Nur 13 Männer überlebten das Massaker. In der Schule befindet sich heute ein Museum. Als wir nach dem Besuch vom Grauen benommen ins Freie traten, fiel unser Blick auf die Turmuhr der Kirche, die am 13. Dezember 1943 um 13.34 Uhr stehen geblieben ist.

Für den Rest des Tages sprachen wir in den Straßen fast flüsternd miteinander. Die meisten alten Frauen der Stadt waren schwarz gekleidet und wir wussten nicht, wen deutsche Worte bis heute schmerzen.

Irgendwann betraten wir ein kleines Geschäft. Es war der vorletzte Tag unserer Reise, ich wollte griechischen Bergtee und Honig mitnehmen. Das Alter der Verkäuferin ließ sich schwer schätzen. Vielleicht hatte sie den 13. Dezember 1943 als Kleinkind auf dem Arm ihrer Mutter in der Schule erlebt, vielleicht war sie auch erst kurz darauf geboren worden, in eine heillose, untröstliche Stille. Sie war sehr freundlich und schnell wurde klar, dass wir uns mit Händen und Füßen würden verständigen müssen. An der Kasse versuchte sie, den Preis für meinen Einkauf auf einem Blatt Papier zu notieren, aber weil ihr Bleistift stumpf war, gelang es ihr nur, Furchen ins Papier zu ritzen. 

Aufgrund meiner Schwäche für Schreibwaren führe ich immer ein dickes Mäppchen bei mir. Also kramte ich in meinem Rucksack und streckte ihr kurz darauf einen Spitzer entgegen. Ein paar Sekunden lang passierte gar nichts. Dann nahm sie den Spitzer entgegen, lächelte und nahm mich in den Arm, sehr fest und zu lang für die Aussicht auf einen gespitzten Bleistift. Etwas Großes, Unwahrscheinliches, etwas, wofür ich unendlich dankbar bin, ist an diesem Nachmittag zwischen Tee und Honig passiert. Und es leuchtet.

Unter dem Titel »Am Ende des Tunnels« wollen mein Freund und Kollege Stephan Hebel und ich uns in den kommenden Monaten in wöchentlicher Folge auf die Suche nach Lichtblicken machen, im Großen wie im Kleinen.