tag 30

Liebe Karin,

Du weißt, ich rede hier und da auch über andere Dinge als das Wetter. Aber da mir zuletzt schon das herbstliche Grau(en) vor Augen stand, muss ich Dir einfach auch diesen wunderbaren Spätsommer-Tag zeigen. Das mag Deinen Urlaubsende- Schmerz wenigstens ein bisschen lindern.

Ich nutze die Gelegenheit, mich mit meinem lieben Freund T. in seinem Kleingarten zu verabreden. Hab ich Dir davon schon mal erzählt? Seit die verdammte Seuche begann, war er mein einziger regelmäßiger Kontakt, abgesehen natürlich von der noch lieberen Gattin. Wir sitzen da, trinken ein Bier, politisieren ein bisschen vor uns hin und planen gemeinsame Projekte, Veranstaltungen und so. Natürlich wird es auch persönlich, wir haben uns einfach in jeder Hinsicht viel zu sagen und das ist ganz wunderbar.

Heute werde ich dort meine Bierflasche auf Dich und Thilo erheben. Vor allem darauf, dass ihr die Griechenland-Reise gewagt habt, trotz allem. Und trotz der Schatten, die in diesen Zeiten auf den Genuss fallen mussten, glaube ich zu spüren, dass Du außer Honig auch Kraft mit nach Hause bringst für alles, was jetzt kommen mag.

Ich freue mich sehr, manches davon auch in Zukunft mit Dir austauschen zu können. Aber ich bin auch traurig, dass unser kleines Hin und Her hier auf dem Blog mit Deiner Rückkehr endet. Deine Nachrichten und Gedanken haben mich immer zum Weiterdenken inspiriert, ganz anders als das, was sonst so alles auf einen einprasselt an Text und Bild und Ton. Und ein bisschen Urlaubsgefühl hast Du zu mir auch herüberwehen lassen.

Das war eine schöne Zeit. Danke, und bis sehr bald!

Besitos, Dein Stephan

tag 18

Liebe Karin,

wusstest Du eigentlich, dass ich seit ungefähr 15 Jahren Urlaub auf den Kanaren mache (na ja, „seit 15 Jahren“, leider sind wir zwischendurch immer knapp ein Jahr zu Hause) – und in dieser ganzen Zeit ungefähr ein einziges Mal mehr als einen Fuß ins Meer gesetzt habe? Nämlich zwei Füße? Sag es nicht weiter, jeder ist auf seine Art bekloppt, aber ich habs nicht so sehr mit dem Wasser. Der lieben Gattin geht es nicht anders, das erleichtert die Abstimmung gewaltig.

Wenn Du jetzt sagst, dann könnte ich genauso gut Urlaub im Umland von Hannover machen, wo wir uns ja gerade mal kurz aufgehalten haben, dann sage ich: Na ja. Der Ort, wo der Freund wohnt, von dem ich Dir vorgestern erzählt habe, ist so gesichtslos wie ein Nacktmull. Aber wir haben erlebt, dass Menschen, die dort verwurzelt sind, sich richtig gut aufgehoben fühlen. Sie müssen die Wurzeln gar nicht weit ausstrecken, um auf Bekannte und Bekanntes zu stoßen, und das tut ihnen, so war mein Gefühl, richtig gut. 

Mit beschränktem Horizont hat dieses Kleinstadt-Leben nichts zu tun, das sind Menschen, die viel erlebt und gesehen haben. Aber sie wissen, wohin sie zurückkommen, das ist etwas wert. Vielleicht jetzt mehr denn je.

Es war übrigens unsere erste Übernachtung im Hotel seit Corona, ein seltsames Gefühl. Desinfektionsmittel satt, überall, und zum Frühstück für jede und jeden eine eigene Wurst-Käse-Platte mit Deckel drüber. Riesen-Portionen, ich will mir gar nicht ausmalen, was die mit den Resten machen. Man könnte eine ganze Hundekolonie auf dem Pilion damit füttern.

Wir wollen im Herbst noch mal hinfahren, der Biergarten hat Heizstrahler. Ein Wahnsinn, ökologisch gesehen. Aber dafür fällt wohl in diesem Winter der Flug auf die Kanaren aus…

Schwimmt ein bisschen für mich mit!

Besitos, Dein Stephan

tag 16

Liebe Karin,

so eine Urlaubswoche zu Hause kann schon auch etwas Wunderbares sein. Kein Laptop auf dem Balkontisch, stattdessen stapele ich – wie Du siehst – meine Lieblings-Espressotassen wie „vorgeschrieben“ zum Kaktus und träume von meinen früheren Reisen nach Mexiko. Lange her, damals ging es dort nicht ganz friedlich, aber doch viel friedlicher zu als heute. Die Tassen hat mir die liebe Gattin zum Geburtstag geschenkt, sie stammen aus Barcelona. Auch so ein Ort, den wir eigentlich sehr lieben.

Stattdessen heute: Hannover. Beziehungsweise Umland Hannover, wir fahren gleich los. Da lebt jetzt einer unserer allerbesten Freunde. Ein Mann, den ich mehr bewundere als viele prominente „Lichtgestalten“.

Warum? Weil er einem gar nicht einfachen Leben immer noch Freude und Genuss abringt. 

Er (Namen lasse ich hier ganz weg) hatte sich aus sehr schwierigen Verhältnissen in spannende und gut dotierte Jobs hochgearbeitet – schon das ist für einen wie mich, der sehr gute Voraussetzungen mitbekommen hat, absolut bewundernswert. Dann kamen Rückschläge: ein Arbeitgeber, dem die klare Haltung meines Freundes nicht passte, ein Auftraggeber, der es mit Loyaliität nicht so sehr hatte. Es folgte die Erfüllung eines Traums: ein kleines, eigenes Geschäft. Und dann die Krankheit.

Eine nicht akut lebensgefährliche, aber tückische Krankheit, die aber mit dem eigenen Laden nicht zu vereinbaren war. Zum Glück hat er wenigstens jetzt eine Behandlung, die ihn zuemlich normal leben lässt.

Na ja: Das Geld ist weitgehend weg, der Mann muss von einem Minimum leben, er gehört längst zum Thema „Armut in Deutschland“. Und was tut er? Verdient, so gut es geht, ein bisschen was dazu, lebt sparsam, aber so gut wie möglich genussvoll mit seiner Liebsten und unterhält uns, wann immer wir ihn sehen, mit seiner liebenswürdigen Art und seinem wachen, klugen Geist.

Versteh mich nicht falsch: Immer wenn ich solche Geschichten höre oder erzähle, droht es wie das FDP-Gelaber vom „Jeder ist seines Glückes Schmied“ zu klingen. Oh nein, mein Freund hätte Zeit seines Lebens einen besseren Sozialstaat gebraucht, von der schwierigen Kindheit bis zu seinem fast lebensgefährlichen Ärger mit gewissen Institutionen nach der Erkrankung. Dass es Menschen gibt, die aus ungerechten Bedingungen noch so viel machen, heißt ja nicht, dass die Bedingungen nicht ungerecht sind. 

Mein Freund ist ein Kämpfer, und das Leben so gut es geht zu genießen, steht bei ihm dazu in überhaupt keinem Widerspruch. Im Gegenteil!

Mir macht das Mut, es spornt mich an: zum Kämpfen und zum Genießen.

Genießt die Tage!

Besitos, Dein Stephan

tag 10

Liebe Karin,

schöner hättest Du das C-Thema nicht umkurven können! Was Du schreibst, vermittelt mir ganz wunderbar diese Stimmung, in der vermeintliche Randerscheinungen wie Kurven, Sonnenuntergänge etc. das Zeug dazu haben, den Tag so auszufüllen, dass sich unwillkürlich die Frage stellt: Woher nehme ich eigentlich sonst immer die Zeit zum Arbeiten?

Was mich umtreibt: Steht da echt an beiden Enden der Straße „downhill“? Andererseits bin ich beruhigt, dass Du erwähnst, es sei auf dem Weg zum Haus dann doch „hinauf“ gegangen. Die irdischen Verhältnisse (eine Richtung runter, eine Richtung rauf) scheinen also noch einigermaßen gewahrt zu sein, Götter hin oder her.

Bei uns ist gestern ein brutales Gewitter durchgerast, zum Glück ohne schlimme Folgen. An der Hitze hat es wenig geändert, aber etwas kühler war es dann doch, ich habe den Tag auf dem Balkon sehr genossen. Das Büchlein über die „Verantwortung der Linken“, das ich durchgelesen habe und rezensieren möchte, war nicht der Kracher, aber ich habe mal ein paar Stunden auf Papier geschaut statt aufs Laptop, das war gut.

Überhaupt geht es im Job relativ ruhig zu. Ich habe Gelegenheit, meinen Kopf ein bisschen zu füttern, das hat er ganz gern, egal ob mit Büchern oder mit einer wunderbaren Sitzung wie der, bei der ich gestern war (großer Abstand, weit geöffnete Fenster). Nicht in der FR-Redaktion, sondern in anderem Zusammenhang, da waren verdammt kluge Leute. Muss ich Dir mal erzählen.

Gestern Abend, nach dem Gewitter, zwei wunderbare Stunden mit meinem besten Freund T. in seinem Kleingarten bei einem Bier. Ein gemütlich vor sich hin mäanderndes Gespräch in der anbrechenden Dämmerung. Das hätte so weitergehen können, aber ich wollte nach Hause zur Frau. Vom Sonnenuntergang haben wir nichts gesehen.