tag 28

Liebe Karin,

selten habe ich mich so gefreut, nichts zu kapieren! Dein kleines Rätsel zu Iason und dem Goldenen Vlies hat mich vollkommen ratlos zurückgelassen, aber das zeigt ja nur, dass ich mit meiner eklatanten Unkenntnis in Sachen griechische Mythologie nicht ganz alleine bin. Ich wusste gar nicht, dass wir auch das gemeinsam haben! Aber bevor Du mich missverstehst: Du hast garantiert mehr Ahnung davon als ich…

Ich sitze heute am Küchen-/Esstisch mit etwas wettertraurigem Blick in die Nachbarsgärten, über denen bei 16 Grad ein grauer Himmel lastet. Mit Mythen musste ich mich allerdings auch beruflich beschäftigen. Dafür haben diese teils verqueren und zum großen Teil brandgefährlichen Menschen gesorgt, die am Wochenende unter dem Vorwand von Corona ihr Verschwörungszeug losgelassen haben. Ich habe ja sehr viel zu kritisieren an der Politik. Aber das wird wirklich nicht leichter, wenn jeder vernünftige Zweifel durch Deutsches-Reich-Fantasien, Zwangsimpfungs-Geschichten, antisemitische Weltverschwörungs-Erzählungen oder den Quatsch von der „Merkel-Diktatur“ übertönt wird. 

Merkel macht aus meiner Sicht eine weitgehend falsche Politik, aber eine Diktatorin ist sie doch nicht! Hätten wir eine Diktatur, würden sich diese Leute wohl so wenig auf die Straße trauen wie wahrscheinlich ich…

Immerhin hatte ich mal wieder das Privileg, einige meiner Gedanken in einem Leitartikel aufschreiben zu dürfen. Und den habe ich hier jetzt einfach mal verlinkt.

Wenn er Dir gefällt, kannst du mir ja ein bisschen von Deinem Honig ums Maul schmieren. Guten Start nach Hause, nehmt Wärme und Sonne mit!

Besitos, Dein Stephan

tag 26

Liebe Karin,

das ist ja das Schöne an dem Flamingo: dass Du ihn aus reinem Altruismus erworben hast, um die lokale Wirtschaft zu unterstützen, während Thilo (Grüße!) ihn aus reinem Altruismus erträgt, schon aus Klimaschutz-Gründen (hier: Binnenklima/Paarbeziehungen). Schade nur, dass das Tier (der Flamingo!) nicht auf einem Bein stehen kann, aber das hätte der Hund ja auch nicht gekonnt, vom Aufblas-Coronatest ganz zu schweigen.

Ich war übrigens heute beim Arzt, Routine-Untersuchung, und der sagte, ich hätte ein gutes Herz. Tja, wenn man einen Arzt braucht, um das zu erfahren…

Ansonsten haben wir gerade beschlossen, dem verdammten Virus unseren Kanaren-Urlaub im Februar/März zu opfern. Wir hatten ein Traumhäuschen auf Teneriffa gebucht, waren aber ständig am Überlegen, vor allem auch wegen der Fliegerei, und überhaupt, ganz so jung wie mein Herz bin ich ja auch nicht mehr. Dann rief die Eigentümerin an und fragte, wie es steht, sie habe noch eine andere Anfrage, und das war der Wink des Schicksals: Stornieren.

Es wird das erste Jahr unserer Beziehung sein, in dem wir nicht die streichelnde Samtluft der Kanarischen Inseln spüren. Und das in einem Winter, von dem niemand weiß, wie eingesperrt wir sein werden. Na, wir denken schon über Inselspaziergänge an der Nordsee nach, uns fällt schon was ein. Und die liebe Gattin hat mir gleich eine Postkarte vor die Nase gestellt, auf der man immerhin den „Hausberg“ unseres Lieblingsortes auf Teneriffa sieht. Ja, das tröstet. Die Geste noch mehr als die Karte.

Dehnt eure letzten Urlaubstage, so gut es geht, damit sie ein bisschen länger werden!

Besitos, Stephan

tag 24

Liebe Karin,

bei dem Hundebild von gestern frage ich mich vor allem: Was ist in der Dose, die zwischen den Tieren liegt?  Womit cremst Du sie ein? Aber schön, die beiden mal wieder zu sehen, die liebe Gattin hatte schon gefragt, was sie machen. Na ja, Urlaub, man sieht’s.

Ich habe mich seit gestern in unser kleines Arbeitszimmerchen zurückgezogen, und Du siehst, der Blitz geht beim Fotografieren schon an. Du kannst Dir also ungefähr denken, was das über das Wetter aussagt. Noch geht’s, ich hoffe auf ein Treffen im Lieblings-Biergarten, wenn ihr wieder da seid, aber genießt erstmal noch das Licht und die Luft und das Wasser und alles, und dann hoffe ich, dass ihr einen guten Rückweg findet!

Ich arbeite gerade am Optimismus, hauptberuflich: Gestern ein sehr schönes Gespräch zur Vorbereitung des Podiums mit dem Berufsoptimisten Harald Welzer, und heute schaue ich mir für die FR den Online-Kongress „Zukunft für alle“ an. Das ist eine derartige Ansammlung von zuversichtlichen Zukunftskämpfern (und vor allem -innen)! Gerade flog von einem virtuellen Podium zum Thema „Wohnen im Jahr 2048“ der Satz einer Architektin vorbei: „Wir sind zum Handeln gezwungen. Und im Moment haben wir noch das Glück, dass wir das freudig tun können.“

Heute wollten wir eine liebe Freundin zum Tapas-Essen treffen, natürlich im Freien, aber das Wetter spricht eher dagegen. Beziehungsweise das Virus. Mal sehen… Wie sagte doch die Moderatorin auf dem Zukunftskongress: „Wir werden uns 2048 wieder treffen. Vielleicht ist dann Corona vorbei.“ Ja, Sarkasmus können sie auch, die Zukunftsoptimisten. Bleibt sonnig!

Besitos, Dein Stephan

tag 22

Liebe Karin,

da sitze ich also wieder auf dem Balkon und arbeite vor mich hin, die Urlaubswoche ist schon vorbei, und was Du auf dem Teller siehst, ist nicht etwa ein missglücktes Mousse au Chocolat, sondern Kaffee mit Brandspuren. Ich habe inzwischen das Gefühl, dass alle es schon wussten, aber uns war das neu: Pulverkaffee zum Glimmen bringen, und um den Rauch macht jede Wespe einen eleganten Bogen. Nie haben wir um diese Jahreszeit so ungestört draußen gegessen!

Lange wird das nicht mehr gehen, wir spüren schon den Herbst hier in Frankfurt. Die Abende werden kühler, und die Zeit rückt näher, in der wir uns fragen müssen, wo und wie wir unsere Freundinnen und Freunde treffen können. 

Wie immer, wenn der Sommer zuende geht, fangen auch die Veranstaltungen wieder an. Ich bleibe vorsichtig, „Hebels aktuelle Stunde“ findet auch nächste Woche wieder online statt und nicht im guten alten Frankfurter „Club Voltaire“. Nur am 17. September, wenn ich an einem Podium mit Harald Welzer teilnehmen darf, wollen wir es in einem großen Saal mit 30 Leuten „live“ versuchen. Bin mal gespannt.

Das Welzer-Lesen hat mir heute ganz gut getan. In seinem Denken steckt so viel Zukunftsfreudigkeit, dass es einen anstecken kann. Den ganz großen Entwürfen, die ja auch lähmen können, stellt er die Hoffnung auf lauter kleine, an Alltagserfahrungen anknüpfende Veränderungen entgegen, die am Ende dann sehr wohl zu etwas Größerem, Anderen werden könnten. Zu dem revolutionären Pessimismus, der mir so oft begegnet, zu diesem „Es geht nur mit der ganz großen Revolution, aber die geht nicht“ bildet Welzer einen schönen Kontrast.

Das mit dem Abtauchen im Urlaub habe ich übrigens gar nicht so fundamental gemeint. Klar kommt die Welt, die lärmende und auch die böse, heutzutage immer mit! Aber selbst ich als Nichtgernschwimmer weiß, dass es schön ist, wenn einem das Wasser mal für ein paar Sekunden die Ohren zuhält. Genießt die letzte Urlaubswoche!

Besitos, Stephan 

tag 16

Liebe Karin,

so eine Urlaubswoche zu Hause kann schon auch etwas Wunderbares sein. Kein Laptop auf dem Balkontisch, stattdessen stapele ich – wie Du siehst – meine Lieblings-Espressotassen wie „vorgeschrieben“ zum Kaktus und träume von meinen früheren Reisen nach Mexiko. Lange her, damals ging es dort nicht ganz friedlich, aber doch viel friedlicher zu als heute. Die Tassen hat mir die liebe Gattin zum Geburtstag geschenkt, sie stammen aus Barcelona. Auch so ein Ort, den wir eigentlich sehr lieben.

Stattdessen heute: Hannover. Beziehungsweise Umland Hannover, wir fahren gleich los. Da lebt jetzt einer unserer allerbesten Freunde. Ein Mann, den ich mehr bewundere als viele prominente „Lichtgestalten“.

Warum? Weil er einem gar nicht einfachen Leben immer noch Freude und Genuss abringt. 

Er (Namen lasse ich hier ganz weg) hatte sich aus sehr schwierigen Verhältnissen in spannende und gut dotierte Jobs hochgearbeitet – schon das ist für einen wie mich, der sehr gute Voraussetzungen mitbekommen hat, absolut bewundernswert. Dann kamen Rückschläge: ein Arbeitgeber, dem die klare Haltung meines Freundes nicht passte, ein Auftraggeber, der es mit Loyaliität nicht so sehr hatte. Es folgte die Erfüllung eines Traums: ein kleines, eigenes Geschäft. Und dann die Krankheit.

Eine nicht akut lebensgefährliche, aber tückische Krankheit, die aber mit dem eigenen Laden nicht zu vereinbaren war. Zum Glück hat er wenigstens jetzt eine Behandlung, die ihn zuemlich normal leben lässt.

Na ja: Das Geld ist weitgehend weg, der Mann muss von einem Minimum leben, er gehört längst zum Thema „Armut in Deutschland“. Und was tut er? Verdient, so gut es geht, ein bisschen was dazu, lebt sparsam, aber so gut wie möglich genussvoll mit seiner Liebsten und unterhält uns, wann immer wir ihn sehen, mit seiner liebenswürdigen Art und seinem wachen, klugen Geist.

Versteh mich nicht falsch: Immer wenn ich solche Geschichten höre oder erzähle, droht es wie das FDP-Gelaber vom „Jeder ist seines Glückes Schmied“ zu klingen. Oh nein, mein Freund hätte Zeit seines Lebens einen besseren Sozialstaat gebraucht, von der schwierigen Kindheit bis zu seinem fast lebensgefährlichen Ärger mit gewissen Institutionen nach der Erkrankung. Dass es Menschen gibt, die aus ungerechten Bedingungen noch so viel machen, heißt ja nicht, dass die Bedingungen nicht ungerecht sind. 

Mein Freund ist ein Kämpfer, und das Leben so gut es geht zu genießen, steht bei ihm dazu in überhaupt keinem Widerspruch. Im Gegenteil!

Mir macht das Mut, es spornt mich an: zum Kämpfen und zum Genießen.

Genießt die Tage!

Besitos, Dein Stephan