tag 31

lieber stephan,

die letzte nacht hatte es in sich. nachdem wir am dienstag die grenzen zu serbien (unbefragt) und ungarn (dito) problemlos passiert hatten, steuerten wir am frühen abend hinter budapest eine autobahnraststätte an, um dort die nacht zu verbringen. es ist nämlich so: nicht-ungarn dürfen derzeit nur einreisen, wenn sie nicht vorhaben, sich im land aufzuhalten. sie müssen sich auf vorgegebenen transit-routen bewegen und unterwegs ausgewiesene transit-raststätten aufsuchen.

die temperatur war inzwischen aus serbischen endzwanzigern auf 14 grad gefallen und es hatte angefangen zu regnen. wir parkten den wagen nahe der stadt tata auf einem rastplatz zwischen einer shell tankstelle und einer kentucky fried chicken filiale. ich wickelte mich so gut es ging in den schlafsack ein, während wir auf unseren campingstühlen, dem uns umgebenden gastronomischen angebot zum trotz, tapfer unsere letzten griechischen dosen (bohnen und fleischbällchen) leer löffelten. dann gingen wir zügig zum ouzo über, um uns für die nacht zuzulöten. im auto, zu unseren füßen, gab die tankstelle einen permanenten sonnenuntergang. es war sogar auf eine kaputte weise romantisch.

am nächsten morgen hätte ich noch vor der zweiten tasse nescafé in den besitz eines iphones und vier verschiedener samsung-modelle kommen können, die junge männer mir zum kauf anboten, aber ich hab ja schon ein telefon. wir tranken aus, setzen uns wieder ins auto und fuhren die verbleibenden 900 kilometer runter, abermals ohne umstände an den verbleibenden grenzen. mein eindruck ist, dass die offiziellen bestimmungen in der praxis sehr frei übersetzt werden, vermutlich dienen sie in erster linie der abschreckung. ich versteh das, vermutlich ist es auch vernünftig. dennoch bin ich glücklich, dass wir uns auf dieses abenteuer eingelassen haben. es hat unendlich gut getan unterwegs zu sein, die fühler auszustrecken, ein bisschen leichtigkeit innerhalb des ausnahmezustands zu erleben, der sich tatsächlich etwas weniger bleiern anfühlt als zuvor.

inzwischen hat uns das herbstliche grau wieder – und unsere gemeinsame sommerreise kommt zum ende, was mich noch wehmütiger macht als der wolkenverhangene himmel vor meinem fenster. ich möchte dir von ganzem herzen danken für deine klugen gedanken, für den austausch, für den anteil, den ich in diesem sommer auch auf reisen an deinem leben haben durfte. es hat mir riesigen spaß gemacht – mal sehen, was im weiteren daraus entsteht.

für heute wünsche ich mir, dir möglichst bald mit einem bier in der hand gegenüber zu sitzen und das gespräch mündlich fortzusetzen. sei fester umarmt, als uns das möglich sein wird, und noch einmal: ganz vielen lieben dank!

besitos

* karin

tag 1

lieber stephan,

ich hoffe, es geht dir gut! mir geht es wunderbar negativ, seit 15.33 uhr, als das testergebnis per mail kam, sprich: wir haben kein corona und werden unsere reise nach griechenland fortsetzen können, über österreich, ungarn, rumänien und bulgarien.

heute nacht schlafen wir im auto auf einem ehemaligen ungarischen acker, den eine niederländerin zum hippiesken campingplatz hergerichtet hat. beim rundgang rügte sie einen holländischen gast, der den deckel zum kompostklo offen hat stehen lassen.

die niederländerin findet, corona sei ein mythos, irgendwie politisch, ich hab‘s nicht ganz verstanden. wobei: vielleicht ein bisschen, sie lebt seit 15 jahren auf einem acker in ungarn und hat es sehr schön hier. außerdem dürfen wir ausdrücklich an ihre bäume urinieren. hätten wir auch gedurft, wenn wir corona hätten, sagt sie. ich denke, ich werde mit mundschutz pinkeln.

jetzt ist es dunkel. grillen zirpen, motten fliegen mir ins iphone, ein traktor knöttert und es riecht nach frisch geschnittenem gras, gesenst, I take it – ein unwahrscheinliches idyll. aus dem haupthaus dringt eine melodie zu uns herüber. mein mann glaubt, dass die niederländerin netflix guckt und auszeit von der hippierolle nimmt. ich glaube, dass sie auf ein tambourin schlägt und singt. und ich fürchte, dass ich recht habe. morgen sind wir hier weg. aber: hey, hey, ungarn!

besitos

* karin