tag 15

lieber stephan, 

ich bin daran gewöhnt, im sommer in griechenland einen schlimmen katzencrush zu entwickeln. ich liebe katzen! dass bei uns in frankfurt keine wohnt, liegt an der allergie meines mannes und daran, dass sie im vierten stock, innenstadt, sehr auf uns angewiesen wäre. dabei sind wir gar nicht so interessant. 

in diesem jahr hab ich mich zum ersten mal in einen hund verknallt. ich kann das erklären. 

als wir neulich ins dorf herunterliefen, kamen wir an einem olivenhain vorbei. von dort aus näherten sich ein halbes dutzend bellender hunde, von hinten schloss ein jogger zu uns auf. er sagte, er laufe diese strecke schon seit 20 jahren. aber die hunde, die seien dieses jahr zum ersten mal auf diesem hügel. „die halter haben sie ausgesetzt“, sagte er, „wegen covid“. dann verabschiedete er sich und lief weiter. 

seit ein paar tagen taucht nun am späten abend regelmäßig ein kleiner hund bei uns auf der terrasse auf. er ist schwarz-weiß gefleckt, sieht aus wie ein muppet, null street smart, und ich muss gestehen, dass ich ihn am anfang nicht wirklich hier haben wollte. das liegt vor allem daran, dass er sich lange und ausgiebig juckt und ab und zu in einer kratzorgie sein hinterteil auf den vorderpfoten über die terrasse zieht. wenn er fertig ist, steht er wieder da, sieht mich erwartungsvoll an mit seinem lustigen gesicht und wedelt mit dem schwanz, in dem er sich manchmal verbeißt, so schlimm ist das offenbar mit den flöhen. aber auch das ist nicht der grund.

vorgestern abend hab ich ihm eine scheibe schinken auf die stufen geworfen. er hat sie nicht angerührt, was mich wunderte, weil er so offensichtlich hungrig war. ich habe dann die scheibe genommen, kleine stückchen abgetrennt, ihm jedes einzeln zugeschnickst und er hat sie restlos weggeschlabbert. thilo glaubt, dass ihm die gesellschaft fehlt, die interaktion, dass er da, wo er mal gewohnt hat, all das hatte. dafür spricht, dass er abends gern auf unserer terrasse abhängt, in der ecke, während wir hier sitzen, reden, wein trinken, manchmal ganze playlisten wegsingen, und der hund liegt in der ecke, in frieden. ich hab fast das gefühl, dass er sich ein bisschen weniger juckt als sonst, wenn er eine weile hier ist, aber wahrscheinlich ist das einbildung. 

heute hab ich ihm hundefutter gekauft, was anständiges. gerade war er hier. er hat die schale leer gemacht, den stick für die zahnpflege verschmäht, die ich muttiesk für ihn vorgesehen hatte (es gibt leider keine sticks gegen flöhe, ich hab das gegoogelt), und ist dann, nachdem er satt war, einfach weitergezogen. wie eine anständige katze, nur ohne streicheln. aber das geht halt leider nicht. und es liegt nicht mal an corona. 

besitos

* karin

 

ps: er ist wieder da und liegt in seiner ecke auf der terrasse, ist eben doch ein hund

tag 13

lieber stephan, 

seit einiger zeit stoße ich im internet immer wieder auf werbung für eine app, mit deren hilfe man störende elemente aus fotos retouchieren kann. veranschaulicht wird das ganze am beispiel von menschen. eben noch war der strand im hintergrund voller urlauber, ein bisschen displaywischen und schon sieht es aus, als habe man die bucht gerade als erster entdeckt. 

einen attraktiven ort für sich allein zu haben gilt als jackpot in zeiten von overtourism. ich habe mal eine reisegeschichte über eine führung durchs vatikanmuseum gemacht, die knapp 300 euro kostete. dafür durfte man das gebäude nach torschluss betreten und war in der sixtinischen kapelle so gut wie allein.

ich weiß nicht, was auf dem pilion normalerweise los ist, wir sind ja zum ersten mal hier. der august jedenfalls ist in griechenland hauptferienzeit, und der 15. august, maria himmelfahrt, markiert ihren höhepunkt. familien kommen zusammen, feiern, essen, tanzen, und obwohl in diesem jahr große feste untersagt worden sind, hat man in den vergangenen tagen doch gemerkt, dass es voller geworden ist. ich sah männer erhebliche teile von kühen und schweinen in plastiktüten aus der metzgerei tragen, frauen verließen den supermarkt mit gesichtsausdrücken, die ich nur von verkaufsoffenen sonntagen vor weihnachten kenne. es muss schwierig sein, das fest in diesem jahr gelassen zu begehen, mit all den einschränkungen und auflagen. 

thilo und ich haben deshalb beschlossen, das wochenende über an unserem haus zu bleiben. wir retouchieren uns quasi aus dem bild, auch aus respekt, um wenigstens zwei plätze in der taverne frei für familien zu machen, die sich seit monaten nicht gesehen haben. happy panagia! stattdessen haben wir unsere stühle am meer aufgeschlagen und gepicknickt. für mich ist das größte am 15. august nämlich, dass thilo geburtstag hat. es gab tortilla mit kerzen und wir hatten den sonnenuntergang für uns allein. 

besitos

* karin

tag 11

lieber stephan, 

wie geht es dir? mir geht es gut. 

heute waren wir am strand und sind im meer geschwommen. 

apropos meer – übermorgen schreibe ich: mehr. 

besitos

*karin

ps: das nachdenken dauert deutlich länger, wenn man auf reisen ist. vielleicht liegt es daran, dass die gedanken so viel platz haben und dabei aufgehen wie hefe. muss man dann erst mal in form bringen. ich denke: brezel, aber mal sehn.

tag 9

lieber stephan, 

du hast wie eigentlich fast immer vollkommen recht, deshalb habe ich mir vorgenommen, das c-wort ein paar tage lang zu vermeiden – vielleicht fällt der schorf dann irgendwann von alleine ab. ich will trotzdem von einer kurve erzählen. sie beschreibt kein pandemie-geschehen, sondern liegt auf dem weg von afissos, dem uns nächsten dorf am pagasitischen golf, hoch zu unserem ferienhaus. 

der vermieter und sein nachbar hatten uns lange vor der anreise vor dieser kurve gewarnt. gefährliche linkskurve, hatten sie gesagt. wir haben beide noch nie gesehen, aber sie sind über 70 und aufgrund ihres vorsprungs an lebenserfahrung stelle ich sie mir äußerlich ein bisschen vor wie den gott mit dem finger in der sixtinischen kapelle: bärtig, grau, linkskurvenerfahren. mein mann sagte: ha! er ist tatsächlich ein sehr guter fahrer und versteht es, ein auto souverän zu steuern, selbst rückwärts, jedenfalls dann, wenn er ohne mich unterwegs ist und meine taschen und meine gitarre nicht die sicht verstellen

wir fuhren also am späten abend in tiefer dunkelheit die straße zu unserem haus hinauf. mein mann sagte: oh, DAS ist die linkskurve. dann drehten die reifen durch. 

später, bei tageslicht, haben wir gesehen, dass an beiden enden der straße schilder mit der aufschrift: „attention! the road to afissos is downhill & dangerous“ aufgestellt sind. freundliche griechen haben handschriftlich die nummer des notrufs, 112, vermerkt. 

wir haben in dieser nacht beschlossen, die straße für den rest des urlaubs nicht zu befahren. gestern abend liefen wir zu fuß hinunter, ich schlitterte in sandalen über das glattgebremste, angstschweißpolierte pflaster, als ein paar im auto unverhofft den sachgerechten umgang mit der linkskurve demonstrierte. der fahrer hieß seine beifahrerin aussteigen, die mit einem mobiltelefon in der hand die straße hinunter lief, ihn aus der kurve heraus verständigte, woraufhin er die fahrt fortsetzte, sie unterwegs aufsammelnd. geht auch umgekehrt, klar, aber das linke hinterrad hebt in der kurve immer vom boden ab, ich habe das beobachtet. die götter nickten zufrieden. ich glaube, sie mögen die linkskurve. 

und der sonnenuntergang in affisos war himmlisch. 

besitos

* karin

  

tag 7

lieber stephan, 

ich bin froh zu hören, dass es deiner schulter wieder besser geht! noch mehr einschränkungen als ohnehin braucht gerade niemand.

versuchen menschen wie wir, die ja doch ziemlich wild entschlossen ihre urlaubspläne verfolgen, dem corona-alltag zu entfliehen? ich hab mich das heute gefragt, als wir mit unseren nachbarn ins gespräch kamen. wir leben hier auf einem hügel in der mitte des pilion, umgeben von olivenbäumen, algarven und oleandern, ein paar steinhäuser, von denen aus man zu fuß das meer erreichen kann. gestern nacht saßen wir auf der terrasse und haben einem gewitter am gegenüberliegenden ufer zugesehen. ein starker, warmer wind ging und am horizont leuchteten blitze. es war wie im theater. nein, eigentlich war es besser. wie verheerend sich dieses schauspiel 100 kilometer entfernt auf euböa ausgewirkt hat, erfuhren wir erst am nächsten morgen.

die neuen nachbarn erzählten uns, dass sie sechs wochen lang krank waren. sie sind ziemlich sicher, corona gehabt und überstanden zu haben. wir erzählten von unserem test am frankurter flughafen, der einreise in griechenland und der kontrolle unserer papiere. wir waren uns einig darin, wie belastend das alles ist und wie froh wir darüber sind, jetzt mal ein paar wochen ruhe davon zu haben. dann verabschiedeten wir uns. und hatten eine viertelstunde lang über nichts anderes gesprochen als das virus. wir alle sind wund und können kaum anders als am schorf zu knibbeln. wenn das hier eine flucht sein sollte, ist sie gescheitert. 

zumal uns gestern morgen eine warnung der corona-app auf dem smartphone begrüßte: ein positiv gestesteter mensch hat sich „über einen längeren Zeitpunkt und mit einem geringen Abstand“ in unserer nähe aufgehalten. passiert sein kann das eigentlich nur am frankfurter flughafen, im testzentrum. der mann hinter uns hatte seine maske unter der nase hängen, aber ich bezweifle, dass er die app benutzt, eben weil er die maske auf der oberlippe hängen hatte. was ist los mit diesen typen (es sind fast immer typen), die ihre nase entblößen müssen? ist das ein schwanzding? 

ich halte für ausgeschlossen, dass wir uns in der schlange im testzentrum wirklich angesteckt haben. alle wartenden trugen masken, wenn auch mitunter auf halbmast. und die app schlägt an, ob du mit einem positiv getesteten knutschst oder zwei meter hinter ihm im supermarkt stehst, beiderseits MNS-geschützt. dennoch verschonen wir unsere mitmenschen sicherheitshalber noch ein paar tage von uns. auf der terrasse sitzend. in olivenbaumkronen blinzelnd. im meer schwimmend. mach dir keine sorgen, es geht uns gut. manchmal kommen uns katzen besuchen.

besitos

* karin