tag 10

Liebe Karin,

schöner hättest Du das C-Thema nicht umkurven können! Was Du schreibst, vermittelt mir ganz wunderbar diese Stimmung, in der vermeintliche Randerscheinungen wie Kurven, Sonnenuntergänge etc. das Zeug dazu haben, den Tag so auszufüllen, dass sich unwillkürlich die Frage stellt: Woher nehme ich eigentlich sonst immer die Zeit zum Arbeiten?

Was mich umtreibt: Steht da echt an beiden Enden der Straße „downhill“? Andererseits bin ich beruhigt, dass Du erwähnst, es sei auf dem Weg zum Haus dann doch „hinauf“ gegangen. Die irdischen Verhältnisse (eine Richtung runter, eine Richtung rauf) scheinen also noch einigermaßen gewahrt zu sein, Götter hin oder her.

Bei uns ist gestern ein brutales Gewitter durchgerast, zum Glück ohne schlimme Folgen. An der Hitze hat es wenig geändert, aber etwas kühler war es dann doch, ich habe den Tag auf dem Balkon sehr genossen. Das Büchlein über die „Verantwortung der Linken“, das ich durchgelesen habe und rezensieren möchte, war nicht der Kracher, aber ich habe mal ein paar Stunden auf Papier geschaut statt aufs Laptop, das war gut.

Überhaupt geht es im Job relativ ruhig zu. Ich habe Gelegenheit, meinen Kopf ein bisschen zu füttern, das hat er ganz gern, egal ob mit Büchern oder mit einer wunderbaren Sitzung wie der, bei der ich gestern war (großer Abstand, weit geöffnete Fenster). Nicht in der FR-Redaktion, sondern in anderem Zusammenhang, da waren verdammt kluge Leute. Muss ich Dir mal erzählen.

Gestern Abend, nach dem Gewitter, zwei wunderbare Stunden mit meinem besten Freund T. in seinem Kleingarten bei einem Bier. Ein gemütlich vor sich hin mäanderndes Gespräch in der anbrechenden Dämmerung. Das hätte so weitergehen können, aber ich wollte nach Hause zur Frau. Vom Sonnenuntergang haben wir nichts gesehen.

tag 8

Liebe Karin,

das Foto habe ich gemacht, bevor ich erfahren habe, dass Olaf Scholz Kanzlerkandidat der SPD wird. Super-Tag, na ja. Das ist sicher nicht das wichtigste Thema auf Erden, aber mich belastet es schon, wie dieses Land offenbar mit Vergnügen in eine Zukunft döst, die etwas anderes erfordern würde als einen Verwalter bestehender Verhältnisse. 

Ich habe gleich über Scholz geschrieben, erst einen schnellen Online-Kommentar und dann den Leitartikel für die FR von morgen. Mir tut das immer ganz gut – ein großartiges Privileg, wenn man seine Gedanken, seine Kritik, seine Sorgen, seine Einschätzung gleich in eine Form bringen darf, die andere hoffentlich zum Weiterdenken anregt (oder wo ich mir das zumindest so einbilden kann).

Ich habe mich gefreut, dass Du gestern ganz am Schluss noch geschrieben hast, ich solle mir keine Sorgen machen. Vielleicht geht es euch ja immer besser, je mehr ihr euch von dem Fluchtgedanken verabschiedet? Vielleicht gibt es einen Rhythmus, in dem man dem Virus die Phasen des Genusses abringen kann, ohne es vergessen zu müssen? Vielleicht ist der Schorf an der Wunde, von dem Du schreibst, wie im „richtigen“ Leben ein Zeichen der Heilung, der Wiederherstellung einer Schutzschicht?

Die Männer mit den freien Nasen sind mir übrigens auch schon aufgefallen. Aber an den Spruch „Wie die Nase des Mannes…“ mochte ich noch nie glauben. Vielleicht weil es unangenehm ist, daran zu denken, wenn man sich manche Rotzlöffel anschaut, die so rumlaufen. Oder fahren, um beim Schwanzding zu bleiben: Unterdimensionierte Männer in ihren überdimensionierten Kisten. Am liebsten röhrend, auf jeden Fall irgendwas kompensierend. 

Nebenan plantschen Kinder im Pool der reichen Nachbarn, und ich denke an euch beim Schwimmen. Bleibt meerumschlungen!

Besitos, Stephan

tag 6

Liebe Karin,

Deine Nachricht ist mir trotz der 2370 Kilometer sehr nahegegangen. Du hast mich ein bisschen das Gefühl mitspüren lassen, dass das „Wiederfinden“ von etwas Altvertrautem, immer für sicher Gehaltenem den Verlust von Sicherheit und Vertrautheit noch deutlicher, noch schmerzhafter werden lässt. Verzeih den blöden Vergleich, aber ich musste an meine leicht lädierte Schulter denken, die für ein paar Tage ein bisschen geschmerzt hat. Jetzt fühlt sich alles wieder fast normal an, und erst im gesunden Zustand ist mir klargeworden, wie unangenehm das Gefühl des Krankseins, der eingeschränkten Bewegungsfreiheit (wenn auch nur eines Arms) war.

Wir hatten gerade Besuch von einer sehr, sehr lieben Verwandten, saßen mit ihr und dem Kater der Nachbarin draußen und haben lange darüber gesprochen, welches Privileg es auch schon bedeutet, über ein ruhiges und vertrautes Plätzchen zu Hause zu verfügen, wo man sich wenigstens in Worten nahekommen kann. Am Schluss hat sie fast verschämt gefragt, ob wir uns vielleicht kurz umarmen könnten… Wer wäre vor der verdammten Pandemie auf so eine Idee gekommen!

Aber wir waren uns auch einig, dass jedenfalls für uns, die wir uns keine großen materiellen Sorgen machen müssen, diese Einschränkungen im Sozialleben auch ein paar Möglichkeiten zum Nachdenken eröffnen. Zum Beispiel über das Termingehetze im Beruf wie im Privaten. Nein, ich will Corona nicht schönreden. Ich merke nur, dass auch diese Krise nicht ganz und gar ohne Chancen ist.

Den Kater der Nachbarin haben wir übers Wochenende in Pflege. Das Tier macht auf Melancholie, und wir fragen uns, ob Katzen vielleicht doch so anhänglich sein können, dass sie „Frauchens“ Abwesenheit aus der Bahn wirft. Ach, wahrscheinlich ist es einfach die Hitze. Eine Meerbrise könntest Du uns rüberschicken!

Lass Dich weiter umarmen, vom Meer und von allem, was Du liebst.

Dein Stephan

tag 4

Liebe Karin,

heute extra zur Feier Deiner Ankunft: Hebel‘s Homeoffice proudly presents „original griechischen“ Feta! Ich weiß, da kannst Du nur grinsen in Deinem original griechischen Urlaubsparadies, aber ich werde beim Essen an euch denken.

Ich will Dir nicht verhehlen, dass mir heute die weniger angenehmen griechischen Zustände über den Weg gelaufen sind. Aber es trifft sich nun mal, dass ich an einem Text über einen gewissen Herrn Armin Laschet gearbeitet habe, sonst war halt nichts los. Und ich bin sicher, Du lässt Dir die Erholung nicht verderben. Weil Du nämlich so gut weißt wie ich, dass das Loslassen vom Elend der Welt, das Ausspannen und Genießen der beste Weg ist, um Kraft zu schöpfen, die Du brauchen wirst, wenn es wieder darum geht, sich all den Verrücktheiten auf diesem Globus zu stellen.

Der Herr Laschet war nämlich auch gerade in Griechenland, das weißt Du sicher, und er wollte sich allen Ernstes das Elend im Flüchtlingslager Moria auf Lesbos anschauen. Nicht etwa, um endlich die Leute komplett da rauszuholen (vielleicht 15.000, wo ist das Problem für Deutschland?). Sondern um für zu Hause eine humanitäre Show abzuziehen, er will schließlich CDU-Vorsitzender werden.

Die Leute im Lager haben so heftig protestiert, dass Laschet lieber draußen geblieben ist. Geht doch! Ich habe das in meinem Porträt, das demnächst in der FR erscheint, als Beispiel für die Verlogenheit von Zuschreibungen wie „liberaler Flügel der CDU“ erwähnt. 

Aber jetzt ist Schluss. Ich habe eine kleine Malaise an der Schulter und gehe zur Krankengymnastik. Und Du wahrscheinlich schwimmen, viel Spaß dabei!

Besitos

Dein Stephan 

tag 2

Liebe Karin,

schön, dass ihr negativ seid! Klingt immer noch gewöhnungsbedürftig, aber Du weißt ja, wie es gemeint ist. Dann bleibt bitte weiter gesund.

Mir geht es gut auf meinem Homeoffice-Balkon, und wie Du siehst, unterbreche ich manchmal die Arbeit am Laptop und tue so seltsame Dinge wie Texte lesen, die auf Papier gedruckt sind. 

Gestern Abend waren die liebe Gattin und ich mit meinem Bruder essen – draußen natürlich und mit Abstand –, und wir hatten ein sehr schönes Gespräch über diese seltsame Unübersichtlichkeit, die wir in der verrückt gewordenen Welt spüren. Kaum schlage ich am Morgen danach die Zeitung auf, sehe ich die Kolumne unseres gemeinsamen Bekannten Michael Herl: „Überblick verhindert Jogginghose“. Was der Michel sagen wollte: Wer die unübersichtlichen Dinge nicht ordnet, fällt leicht der Verwahrlosung anheim, und dann ist es nicht mehr weit bis zum Spaziergang mit Jogginghose, ungeduscht. Ich bin sofort Zähneputzen gegangen. 

Mit das Schönste am Urlaub ist ja, dass die Dinge, die man aufräumen und sortieren müsste, zu Hause bleiben. Jedenfalls die Gegenstände, mit den eigenen Zuständen ist es natürlich was anderes. Aber spannend ist es auch daheim: Es gibt so viel zum Nachdenken, so viel Bewegung um mich herum, die mich umtreibt – mal mit Sorge, mal mit Freude –, dass es mir keine Sekunde langweilig wird. Ich werde berichten.

Besitos! Dein Stephan