Brötchenlove

Seit fast 20 Jahren begleitet mich dieses Brötchen durchs Leben. Geschenkt haben es mir die Jungs vom Café Kante – zum 30. Geburtstag. Wir waren damals Nachbarn, ich wohnte in der Wohnung direkt über dem Café und mein Balkon war wie ein Logenplatz, auf dem ich saß und rauchte und manchmal schrieb, begleitet vom Tassen-Löffel-Klimpern unter mir. Es war eine fabelhafte Zeit, ich habe diese Nachbarschaft geliebt und wäre wahrscheinlich nie ausgezogen, hätten mir die Eigentümer nicht irgendwann wegen Eigenbedarf gekündigt.

Gestern beim Renovieren fiel mir auf, dass kleine Lebewesen mit Flügeln in das Brötchen eingezogen sind, was ein bisschen rätselhaft ist, nachdem sich jahrelang niemand dafür interessiert hat. Jedenfalls habe ich deshalb schweren Herzens beschlossen, dass sich unsere Wege nun trennen müssen. Danke für alles! Du warst ein gutes Brötchen! Und danke Habu, danke Norbert, danke Haki – für das wunderbare Geschenk, für die gemeinsame Zeit, für den Kaffee, die Herzlichkeit und den Trost, wenn ich ihn brauchte! ❤️

tag 22

Liebe Karin,

da sitze ich also wieder auf dem Balkon und arbeite vor mich hin, die Urlaubswoche ist schon vorbei, und was Du auf dem Teller siehst, ist nicht etwa ein missglücktes Mousse au Chocolat, sondern Kaffee mit Brandspuren. Ich habe inzwischen das Gefühl, dass alle es schon wussten, aber uns war das neu: Pulverkaffee zum Glimmen bringen, und um den Rauch macht jede Wespe einen eleganten Bogen. Nie haben wir um diese Jahreszeit so ungestört draußen gegessen!

Lange wird das nicht mehr gehen, wir spüren schon den Herbst hier in Frankfurt. Die Abende werden kühler, und die Zeit rückt näher, in der wir uns fragen müssen, wo und wie wir unsere Freundinnen und Freunde treffen können. 

Wie immer, wenn der Sommer zuende geht, fangen auch die Veranstaltungen wieder an. Ich bleibe vorsichtig, „Hebels aktuelle Stunde“ findet auch nächste Woche wieder online statt und nicht im guten alten Frankfurter „Club Voltaire“. Nur am 17. September, wenn ich an einem Podium mit Harald Welzer teilnehmen darf, wollen wir es in einem großen Saal mit 30 Leuten „live“ versuchen. Bin mal gespannt.

Das Welzer-Lesen hat mir heute ganz gut getan. In seinem Denken steckt so viel Zukunftsfreudigkeit, dass es einen anstecken kann. Den ganz großen Entwürfen, die ja auch lähmen können, stellt er die Hoffnung auf lauter kleine, an Alltagserfahrungen anknüpfende Veränderungen entgegen, die am Ende dann sehr wohl zu etwas Größerem, Anderen werden könnten. Zu dem revolutionären Pessimismus, der mir so oft begegnet, zu diesem „Es geht nur mit der ganz großen Revolution, aber die geht nicht“ bildet Welzer einen schönen Kontrast.

Das mit dem Abtauchen im Urlaub habe ich übrigens gar nicht so fundamental gemeint. Klar kommt die Welt, die lärmende und auch die böse, heutzutage immer mit! Aber selbst ich als Nichtgernschwimmer weiß, dass es schön ist, wenn einem das Wasser mal für ein paar Sekunden die Ohren zuhält. Genießt die letzte Urlaubswoche!

Besitos, Stephan