tag 21

lieber stephan, 

mit dem abtauchen im urlaub ist das so eine sache. ich bin nicht sicher, dass das im 21. jahrhundert noch übermäßig gut gelingt, schon gar nicht in diesem sommer, und ich weiß auch nicht, für wie erstrebenswert ich das überhaupt halte. nachrichten erreichen mich, per mail, per push-nachricht, neuerdings auch auf meiner uhr. in die ecke werfen kann ich den ganzen krempel stundenweise, aber nicht dauerhaft, weil ich als freie autorin auch im urlaub arbeite, in kleinen dosen, immerhin.

und die welt hört ja nicht auf zu sein, wie sie ist, nur weil ich gerade nicht hinsehe. wenn in russland regimegegner vergiftet werden und in mexiko journalisten in polizeigewahrsam sterben, wenn in offenbach die neuinfektionen durch die decke gehen und in hanau eine demonstration zum gedenken an die opfer des rassistischen anschlags aus fadenscheinigen gründen unterbunden wird, dann möchte ich das zumindest wissen, urlaub hin oder her. ich empfinde dabei die selbe wut, die selbe ohnmacht, die ich auch zuhause empfinden würde. nur dass mein blick dabei aufs meer fällt. das meer, das ich so sehr liebe. das meer, auf dem die griechische küstenwache flüchtlinge auf rettungsinseln aussetzt und ihrem schicksal überlässt.

ohne zugang zum internet wäre ein urlaub in griechenland in diesem jahr ohnehin kaum möglich. in einer woche beginnt für uns die rückreise nach deutschland. auf dem hinweg sind wir über ungarn, rumänien und bulgarien gefahren, die EU-route, aber das war ehrlich gesagt nur, weil wir zu viele zigaretten dabei hatten – eine marke, die es hier nicht gibt. jetzt sind die zigaretten alle, wir drehen selbst, mir traurigen, aber irgendwie rauchbaren resultaten, und wollten deshalb auf dem rückweg über serbien und kroatien abkürzen. serbien darf man derzeit aber nur passieren, wenn man sich zuvor nicht länger als zwölf stunden in bulgarien aufgehalten hat (wobei man griechenland mit dem auto nach wie vor nur über den bulgarischen grenzübergang verlassen kann). und zwischen österreich und slowenien stehen reisende zwölf stunden lang im stau, weil die grenzkontrollen verschärft wurden. 

wir werden sehen. bis dahin sehe ich das meer und die olivenbäume. 

besitos

* karin

tag 19

lieber stephan, 

ich muss doch noch mal was zum meer sagen. es ist nämlich gar nicht nur das schwimmen an sich –  wobei ich das schon auch sehr mag und in den vergangenen monaten brutal vermisst habe. als ich kurz vor meinem urlaub in hamburg war, hab ich einen slot für das schwimmbad gebucht, das quasi direkt gegenüber meiner wohnung liegt. normalerweise schwimme ich da jede woche zwei kilometer. weil man einen slot buchen musste, ging ich davon aus, es würde leer sein, aber ehrlich gesagt wirkte es genauso voll wie im vergangenen sommer. es wäre unmöglich gewesen, beim schwimmen auch nur einen meter abstand zu den anderen zu halten. der bademeister erwiderte auf meine frage, doch, es gebe bei ihnen schon ein limit, 230 leute. zweihundertdreißig. ich bin dann unverrichteter dinge wieder gegangen. aber eigentlich wollte ich ja was zur ägäis sagen. 

in den vergangenen 18 jahren ist es mir ein einziges mal gelungen, meinen mann nach lateinamerika zu bewegen, wo ich, wie du weißt, eigentlich am liebsten bin. wir flogen nach mexiko, cancún, und anschließend mit dem boot zur isla mujeres. ich hatte erwartet, dass er sowas wie aaah oder wenigstens ooh sagen würde, wenn er zum ersten mal dieses wasser sieht, türkisblau, klar und glitzernd, aber er sagte gar nichts. und als ich ihn fragte, sagte er, sichtlich bemüht, mich nicht zu kränken: naja, es ist ein bisschen wie in griechenland. ich hielt das für völlig absurd. ein paar jahre später verbrachten wir den sommer zum ersten mal auf amorgos, meiner lieblingskykladeninsel. seitdem liebe ich dieses meer, mehr als jedes andere. es hat die perfekte farbe, die perfekte temperatur, die perfekte schwappsigkeit. ich hatte keine ahnung, dass es sowas in europa überhaupt gibt. 

jede wette, dass ihr bis zu den knien reingehen würdet, mindestens. 

besitos

* karin

tag 18

Liebe Karin,

wusstest Du eigentlich, dass ich seit ungefähr 15 Jahren Urlaub auf den Kanaren mache (na ja, „seit 15 Jahren“, leider sind wir zwischendurch immer knapp ein Jahr zu Hause) – und in dieser ganzen Zeit ungefähr ein einziges Mal mehr als einen Fuß ins Meer gesetzt habe? Nämlich zwei Füße? Sag es nicht weiter, jeder ist auf seine Art bekloppt, aber ich habs nicht so sehr mit dem Wasser. Der lieben Gattin geht es nicht anders, das erleichtert die Abstimmung gewaltig.

Wenn Du jetzt sagst, dann könnte ich genauso gut Urlaub im Umland von Hannover machen, wo wir uns ja gerade mal kurz aufgehalten haben, dann sage ich: Na ja. Der Ort, wo der Freund wohnt, von dem ich Dir vorgestern erzählt habe, ist so gesichtslos wie ein Nacktmull. Aber wir haben erlebt, dass Menschen, die dort verwurzelt sind, sich richtig gut aufgehoben fühlen. Sie müssen die Wurzeln gar nicht weit ausstrecken, um auf Bekannte und Bekanntes zu stoßen, und das tut ihnen, so war mein Gefühl, richtig gut. 

Mit beschränktem Horizont hat dieses Kleinstadt-Leben nichts zu tun, das sind Menschen, die viel erlebt und gesehen haben. Aber sie wissen, wohin sie zurückkommen, das ist etwas wert. Vielleicht jetzt mehr denn je.

Es war übrigens unsere erste Übernachtung im Hotel seit Corona, ein seltsames Gefühl. Desinfektionsmittel satt, überall, und zum Frühstück für jede und jeden eine eigene Wurst-Käse-Platte mit Deckel drüber. Riesen-Portionen, ich will mir gar nicht ausmalen, was die mit den Resten machen. Man könnte eine ganze Hundekolonie auf dem Pilion damit füttern.

Wir wollen im Herbst noch mal hinfahren, der Biergarten hat Heizstrahler. Ein Wahnsinn, ökologisch gesehen. Aber dafür fällt wohl in diesem Winter der Flug auf die Kanaren aus…

Schwimmt ein bisschen für mich mit!

Besitos, Dein Stephan

tag 11

lieber stephan, 

wie geht es dir? mir geht es gut. 

heute waren wir am strand und sind im meer geschwommen. 

apropos meer – übermorgen schreibe ich: mehr. 

besitos

*karin

ps: das nachdenken dauert deutlich länger, wenn man auf reisen ist. vielleicht liegt es daran, dass die gedanken so viel platz haben und dabei aufgehen wie hefe. muss man dann erst mal in form bringen. ich denke: brezel, aber mal sehn.