tag 11

lieber stephan, 

wie geht es dir? mir geht es gut. 

heute waren wir am strand und sind im meer geschwommen. 

apropos meer – übermorgen schreibe ich: mehr. 

besitos

*karin

ps: das nachdenken dauert deutlich länger, wenn man auf reisen ist. vielleicht liegt es daran, dass die gedanken so viel platz haben und dabei aufgehen wie hefe. muss man dann erst mal in form bringen. ich denke: brezel, aber mal sehn.

tag 9

lieber stephan, 

du hast wie eigentlich fast immer vollkommen recht, deshalb habe ich mir vorgenommen, das c-wort ein paar tage lang zu vermeiden – vielleicht fällt der schorf dann irgendwann von alleine ab. ich will trotzdem von einer kurve erzählen. sie beschreibt kein pandemie-geschehen, sondern liegt auf dem weg von afissos, dem uns nächsten dorf am pagasitischen golf, hoch zu unserem ferienhaus. 

der vermieter und sein nachbar hatten uns lange vor der anreise vor dieser kurve gewarnt. gefährliche linkskurve, hatten sie gesagt. wir haben beide noch nie gesehen, aber sie sind über 70 und aufgrund ihres vorsprungs an lebenserfahrung stelle ich sie mir äußerlich ein bisschen vor wie den gott mit dem finger in der sixtinischen kapelle: bärtig, grau, linkskurvenerfahren. mein mann sagte: ha! er ist tatsächlich ein sehr guter fahrer und versteht es, ein auto souverän zu steuern, selbst rückwärts, jedenfalls dann, wenn er ohne mich unterwegs ist und meine taschen und meine gitarre nicht die sicht verstellen

wir fuhren also am späten abend in tiefer dunkelheit die straße zu unserem haus hinauf. mein mann sagte: oh, DAS ist die linkskurve. dann drehten die reifen durch. 

später, bei tageslicht, haben wir gesehen, dass an beiden enden der straße schilder mit der aufschrift: „attention! the road to afissos is downhill & dangerous“ aufgestellt sind. freundliche griechen haben handschriftlich die nummer des notrufs, 112, vermerkt. 

wir haben in dieser nacht beschlossen, die straße für den rest des urlaubs nicht zu befahren. gestern abend liefen wir zu fuß hinunter, ich schlitterte in sandalen über das glattgebremste, angstschweißpolierte pflaster, als ein paar im auto unverhofft den sachgerechten umgang mit der linkskurve demonstrierte. der fahrer hieß seine beifahrerin aussteigen, die mit einem mobiltelefon in der hand die straße hinunter lief, ihn aus der kurve heraus verständigte, woraufhin er die fahrt fortsetzte, sie unterwegs aufsammelnd. geht auch umgekehrt, klar, aber das linke hinterrad hebt in der kurve immer vom boden ab, ich habe das beobachtet. die götter nickten zufrieden. ich glaube, sie mögen die linkskurve. 

und der sonnenuntergang in affisos war himmlisch. 

besitos

* karin

  

tag 7

lieber stephan, 

ich bin froh zu hören, dass es deiner schulter wieder besser geht! noch mehr einschränkungen als ohnehin braucht gerade niemand.

versuchen menschen wie wir, die ja doch ziemlich wild entschlossen ihre urlaubspläne verfolgen, dem corona-alltag zu entfliehen? ich hab mich das heute gefragt, als wir mit unseren nachbarn ins gespräch kamen. wir leben hier auf einem hügel in der mitte des pilion, umgeben von olivenbäumen, algarven und oleandern, ein paar steinhäuser, von denen aus man zu fuß das meer erreichen kann. gestern nacht saßen wir auf der terrasse und haben einem gewitter am gegenüberliegenden ufer zugesehen. ein starker, warmer wind ging und am horizont leuchteten blitze. es war wie im theater. nein, eigentlich war es besser. wie verheerend sich dieses schauspiel 100 kilometer entfernt auf euböa ausgewirkt hat, erfuhren wir erst am nächsten morgen.

die neuen nachbarn erzählten uns, dass sie sechs wochen lang krank waren. sie sind ziemlich sicher, corona gehabt und überstanden zu haben. wir erzählten von unserem test am frankurter flughafen, der einreise in griechenland und der kontrolle unserer papiere. wir waren uns einig darin, wie belastend das alles ist und wie froh wir darüber sind, jetzt mal ein paar wochen ruhe davon zu haben. dann verabschiedeten wir uns. und hatten eine viertelstunde lang über nichts anderes gesprochen als das virus. wir alle sind wund und können kaum anders als am schorf zu knibbeln. wenn das hier eine flucht sein sollte, ist sie gescheitert. 

zumal uns gestern morgen eine warnung der corona-app auf dem smartphone begrüßte: ein positiv gestesteter mensch hat sich „über einen längeren Zeitpunkt und mit einem geringen Abstand“ in unserer nähe aufgehalten. passiert sein kann das eigentlich nur am frankfurter flughafen, im testzentrum. der mann hinter uns hatte seine maske unter der nase hängen, aber ich bezweifle, dass er die app benutzt, eben weil er die maske auf der oberlippe hängen hatte. was ist los mit diesen typen (es sind fast immer typen), die ihre nase entblößen müssen? ist das ein schwanzding? 

ich halte für ausgeschlossen, dass wir uns in der schlange im testzentrum wirklich angesteckt haben. alle wartenden trugen masken, wenn auch mitunter auf halbmast. und die app schlägt an, ob du mit einem positiv getesteten knutschst oder zwei meter hinter ihm im supermarkt stehst, beiderseits MNS-geschützt. dennoch verschonen wir unsere mitmenschen sicherheitshalber noch ein paar tage von uns. auf der terrasse sitzend. in olivenbaumkronen blinzelnd. im meer schwimmend. mach dir keine sorgen, es geht uns gut. manchmal kommen uns katzen besuchen.

besitos

* karin

tag 5

lieber stephan, 

ich hatte mit hoch-die-tassen-euphorie gerechnet, aber das gefühl, das sich einstellte, nachdem wir die griechische grenze passiert hatten, war viel kleiner und leiser und ging doch wesentlich tiefer – demütige erleichterung, die richtung. nicht weil ein ende der 2370-kilometer-reise in sicht war, sondern weil griechenland so da war, wie ich es in erinnerung hatte, unversehrt das gelb, das grau, das blau, das silbergrün, das mir so vertraut ist aus den vielen sommern der vergangenen jahre. und erst da wurde mir bewusst, wie grundsätzlich dieses beknackte virus während der vergangenen monate so gut wie alle gewissheiten in meinem leben erschüttert hat. wie wirkmächtig die ohnmacht ist, die es verbreitet. 

den allermeisten von uns sitzt corona wie ein tinitus im ohr, eine latente bedrohung des grundsätzlichsten. wir unterlassen selbstverständliches, alltägliche nähe, zusammenkünfte im mittelgroßen kreis, umarmungen. so gut wie nichts ist, wie es war, und offenbar hat mich das so sehr erschüttert, dass ich darauf vorbereitet war, in diesem sommer nach griechenland zu reisen ohne anzukommen. 

für heute nacht: entwarnung. alles da. und ich bin unendlich dankbar dafür, ein paar wochen hier verbringen zu dürfen. selten war mir so bewusst, was für ein privileg das ist und wie wenig selbstverständlich. zikaden singen, früher hätte ich nerven hart gesagt. ich war schwimmen im meer. es hat mich umarmt. 

besitos

* karin

tag 3

lieber stephan, 

bitte verzeih, dass ich mich erst jetzt melde. hatte unterschätzt, wie anstrengend das ist, mit dem auto quer durch europa zu fahren, selbst wenn man nur auf dem beifahrersitz herumlungert, ab und zu dem fahrer was vorliest und die buchstaben G-R-E-E-C-E auf ein stück stoff stickt (frag nicht). an den grenzen, vor denen wir uns ein bisschen gefürchtet hatten, lief alles superglatt. kaum stau, hier und da mal perso raushalten und weiter. bisher kannte ich weder ungarn noch rumänien noch bulgarien, und obwohl ich auch jetzt kaum behaupten kann, wirklich dort gewesen zu sein, haben mir die länder im vorbeifahren immerhin sehr gut gefallen. man müsste mal wiederkommen, mit mehr zeit und weniger virus. wir haben storchennestern auf leitungsmasten gesehen, sprudelnde bäche, grüne berge, marode residenzen in unwirklichen dörfern und natürlich: donau, donau, donau. 

das ferienhaus in griechenland hatte thilo schon im vergangenen herbst gebucht, als von corona noch keine rede war. im märz war ich sicher, dass wir die reise würden stornieren müssen. im april fing ich an hoffnung zu schöpfen – und thilo baute uns ein bett ins auto, damit wir möglichst kontaktfrei von frankfurt an den pilion kommen. das hat hervorragend funktioniert. 

was ich unterwegs angefasst habe: 

  • unser auto
  • sachen aus unserem auto
  • meinen mann

fertig. 

ein bisschen länger gedauert hat es an der grenze zu griechenland. an einer art schleuse wurde unser wagen mit desinfektionsmittel besprüht (warum auch immer), nicht wirklich doll, nur ein paar spritzer. am grenzübergang kontrollierte man unsere passenger location forms, auf denen man angeben muss, wo man sich in griechenland aufhält. um die corona-tests ging es offenbar, als ich gerade am grenzhäuschen persos zeigen war, deshalb haben sie meinen gar nicht kontrolliert. ich muss zugeben, dass mich das ein bisschen geärgert hat. es ist wie mit einem einser-abi. irgendwie gut, dass man es hat, aber wirklich interessieren tut sich nie jemand dafür. naja. 

vom wiedersehen mit griechenland erzähl ich dir heute abend, 

besitos

* karin