tag 5

lieber stephan, 

ich hatte mit hoch-die-tassen-euphorie gerechnet, aber das gefühl, das sich einstellte, nachdem wir die griechische grenze passiert hatten, war viel kleiner und leiser und ging doch wesentlich tiefer – demütige erleichterung, die richtung. nicht weil ein ende der 2370-kilometer-reise in sicht war, sondern weil griechenland so da war, wie ich es in erinnerung hatte, unversehrt das gelb, das grau, das blau, das silbergrün, das mir so vertraut ist aus den vielen sommern der vergangenen jahre. und erst da wurde mir bewusst, wie grundsätzlich dieses beknackte virus während der vergangenen monate so gut wie alle gewissheiten in meinem leben erschüttert hat. wie wirkmächtig die ohnmacht ist, die es verbreitet. 

den allermeisten von uns sitzt corona wie ein tinitus im ohr, eine latente bedrohung des grundsätzlichsten. wir unterlassen selbstverständliches, alltägliche nähe, zusammenkünfte im mittelgroßen kreis, umarmungen. so gut wie nichts ist, wie es war, und offenbar hat mich das so sehr erschüttert, dass ich darauf vorbereitet war, in diesem sommer nach griechenland zu reisen ohne anzukommen. 

für heute nacht: entwarnung. alles da. und ich bin unendlich dankbar dafür, ein paar wochen hier verbringen zu dürfen. selten war mir so bewusst, was für ein privileg das ist und wie wenig selbstverständlich. zikaden singen, früher hätte ich nerven hart gesagt. ich war schwimmen im meer. es hat mich umarmt. 

besitos

* karin

tag 3

lieber stephan, 

bitte verzeih, dass ich mich erst jetzt melde. hatte unterschätzt, wie anstrengend das ist, mit dem auto quer durch europa zu fahren, selbst wenn man nur auf dem beifahrersitz herumlungert, ab und zu dem fahrer was vorliest und die buchstaben G-R-E-E-C-E auf ein stück stoff stickt (frag nicht). an den grenzen, vor denen wir uns ein bisschen gefürchtet hatten, lief alles superglatt. kaum stau, hier und da mal perso raushalten und weiter. bisher kannte ich weder ungarn noch rumänien noch bulgarien, und obwohl ich auch jetzt kaum behaupten kann, wirklich dort gewesen zu sein, haben mir die länder im vorbeifahren immerhin sehr gut gefallen. man müsste mal wiederkommen, mit mehr zeit und weniger virus. wir haben storchennestern auf leitungsmasten gesehen, sprudelnde bäche, grüne berge, marode residenzen in unwirklichen dörfern und natürlich: donau, donau, donau. 

das ferienhaus in griechenland hatte thilo schon im vergangenen herbst gebucht, als von corona noch keine rede war. im märz war ich sicher, dass wir die reise würden stornieren müssen. im april fing ich an hoffnung zu schöpfen – und thilo baute uns ein bett ins auto, damit wir möglichst kontaktfrei von frankfurt an den pilion kommen. das hat hervorragend funktioniert. 

was ich unterwegs angefasst habe: 

  • unser auto
  • sachen aus unserem auto
  • meinen mann

fertig. 

ein bisschen länger gedauert hat es an der grenze zu griechenland. an einer art schleuse wurde unser wagen mit desinfektionsmittel besprüht (warum auch immer), nicht wirklich doll, nur ein paar spritzer. am grenzübergang kontrollierte man unsere passenger location forms, auf denen man angeben muss, wo man sich in griechenland aufhält. um die corona-tests ging es offenbar, als ich gerade am grenzhäuschen persos zeigen war, deshalb haben sie meinen gar nicht kontrolliert. ich muss zugeben, dass mich das ein bisschen geärgert hat. es ist wie mit einem einser-abi. irgendwie gut, dass man es hat, aber wirklich interessieren tut sich nie jemand dafür. naja. 

vom wiedersehen mit griechenland erzähl ich dir heute abend, 

besitos

* karin

tag 4

Liebe Karin,

heute extra zur Feier Deiner Ankunft: Hebel‘s Homeoffice proudly presents „original griechischen“ Feta! Ich weiß, da kannst Du nur grinsen in Deinem original griechischen Urlaubsparadies, aber ich werde beim Essen an euch denken.

Ich will Dir nicht verhehlen, dass mir heute die weniger angenehmen griechischen Zustände über den Weg gelaufen sind. Aber es trifft sich nun mal, dass ich an einem Text über einen gewissen Herrn Armin Laschet gearbeitet habe, sonst war halt nichts los. Und ich bin sicher, Du lässt Dir die Erholung nicht verderben. Weil Du nämlich so gut weißt wie ich, dass das Loslassen vom Elend der Welt, das Ausspannen und Genießen der beste Weg ist, um Kraft zu schöpfen, die Du brauchen wirst, wenn es wieder darum geht, sich all den Verrücktheiten auf diesem Globus zu stellen.

Der Herr Laschet war nämlich auch gerade in Griechenland, das weißt Du sicher, und er wollte sich allen Ernstes das Elend im Flüchtlingslager Moria auf Lesbos anschauen. Nicht etwa, um endlich die Leute komplett da rauszuholen (vielleicht 15.000, wo ist das Problem für Deutschland?). Sondern um für zu Hause eine humanitäre Show abzuziehen, er will schließlich CDU-Vorsitzender werden.

Die Leute im Lager haben so heftig protestiert, dass Laschet lieber draußen geblieben ist. Geht doch! Ich habe das in meinem Porträt, das demnächst in der FR erscheint, als Beispiel für die Verlogenheit von Zuschreibungen wie „liberaler Flügel der CDU“ erwähnt. 

Aber jetzt ist Schluss. Ich habe eine kleine Malaise an der Schulter und gehe zur Krankengymnastik. Und Du wahrscheinlich schwimmen, viel Spaß dabei!

Besitos

Dein Stephan 

tag 2

Liebe Karin,

schön, dass ihr negativ seid! Klingt immer noch gewöhnungsbedürftig, aber Du weißt ja, wie es gemeint ist. Dann bleibt bitte weiter gesund.

Mir geht es gut auf meinem Homeoffice-Balkon, und wie Du siehst, unterbreche ich manchmal die Arbeit am Laptop und tue so seltsame Dinge wie Texte lesen, die auf Papier gedruckt sind. 

Gestern Abend waren die liebe Gattin und ich mit meinem Bruder essen – draußen natürlich und mit Abstand –, und wir hatten ein sehr schönes Gespräch über diese seltsame Unübersichtlichkeit, die wir in der verrückt gewordenen Welt spüren. Kaum schlage ich am Morgen danach die Zeitung auf, sehe ich die Kolumne unseres gemeinsamen Bekannten Michael Herl: „Überblick verhindert Jogginghose“. Was der Michel sagen wollte: Wer die unübersichtlichen Dinge nicht ordnet, fällt leicht der Verwahrlosung anheim, und dann ist es nicht mehr weit bis zum Spaziergang mit Jogginghose, ungeduscht. Ich bin sofort Zähneputzen gegangen. 

Mit das Schönste am Urlaub ist ja, dass die Dinge, die man aufräumen und sortieren müsste, zu Hause bleiben. Jedenfalls die Gegenstände, mit den eigenen Zuständen ist es natürlich was anderes. Aber spannend ist es auch daheim: Es gibt so viel zum Nachdenken, so viel Bewegung um mich herum, die mich umtreibt – mal mit Sorge, mal mit Freude –, dass es mir keine Sekunde langweilig wird. Ich werde berichten.

Besitos! Dein Stephan

tag 1

lieber stephan,

ich hoffe, es geht dir gut! mir geht es wunderbar negativ, seit 15.33 uhr, als das testergebnis per mail kam, sprich: wir haben kein corona und werden unsere reise nach griechenland fortsetzen können, über österreich, ungarn, rumänien und bulgarien.

heute nacht schlafen wir im auto auf einem ehemaligen ungarischen acker, den eine niederländerin zum hippiesken campingplatz hergerichtet hat. beim rundgang rügte sie einen holländischen gast, der den deckel zum kompostklo offen hat stehen lassen.

die niederländerin findet, corona sei ein mythos, irgendwie politisch, ich hab‘s nicht ganz verstanden. wobei: vielleicht ein bisschen, sie lebt seit 15 jahren auf einem acker in ungarn und hat es sehr schön hier. außerdem dürfen wir ausdrücklich an ihre bäume urinieren. hätten wir auch gedurft, wenn wir corona hätten, sagt sie. ich denke, ich werde mit mundschutz pinkeln.

jetzt ist es dunkel. grillen zirpen, motten fliegen mir ins iphone, ein traktor knöttert und es riecht nach frisch geschnittenem gras, gesenst, I take it – ein unwahrscheinliches idyll. aus dem haupthaus dringt eine melodie zu uns herüber. mein mann glaubt, dass die niederländerin netflix guckt und auszeit von der hippierolle nimmt. ich glaube, dass sie auf ein tambourin schlägt und singt. und ich fürchte, dass ich recht habe. morgen sind wir hier weg. aber: hey, hey, ungarn!

besitos

* karin