tag 22

Liebe Karin,

da sitze ich also wieder auf dem Balkon und arbeite vor mich hin, die Urlaubswoche ist schon vorbei, und was Du auf dem Teller siehst, ist nicht etwa ein missglücktes Mousse au Chocolat, sondern Kaffee mit Brandspuren. Ich habe inzwischen das Gefühl, dass alle es schon wussten, aber uns war das neu: Pulverkaffee zum Glimmen bringen, und um den Rauch macht jede Wespe einen eleganten Bogen. Nie haben wir um diese Jahreszeit so ungestört draußen gegessen!

Lange wird das nicht mehr gehen, wir spüren schon den Herbst hier in Frankfurt. Die Abende werden kühler, und die Zeit rückt näher, in der wir uns fragen müssen, wo und wie wir unsere Freundinnen und Freunde treffen können. 

Wie immer, wenn der Sommer zuende geht, fangen auch die Veranstaltungen wieder an. Ich bleibe vorsichtig, „Hebels aktuelle Stunde“ findet auch nächste Woche wieder online statt und nicht im guten alten Frankfurter „Club Voltaire“. Nur am 17. September, wenn ich an einem Podium mit Harald Welzer teilnehmen darf, wollen wir es in einem großen Saal mit 30 Leuten „live“ versuchen. Bin mal gespannt.

Das Welzer-Lesen hat mir heute ganz gut getan. In seinem Denken steckt so viel Zukunftsfreudigkeit, dass es einen anstecken kann. Den ganz großen Entwürfen, die ja auch lähmen können, stellt er die Hoffnung auf lauter kleine, an Alltagserfahrungen anknüpfende Veränderungen entgegen, die am Ende dann sehr wohl zu etwas Größerem, Anderen werden könnten. Zu dem revolutionären Pessimismus, der mir so oft begegnet, zu diesem „Es geht nur mit der ganz großen Revolution, aber die geht nicht“ bildet Welzer einen schönen Kontrast.

Das mit dem Abtauchen im Urlaub habe ich übrigens gar nicht so fundamental gemeint. Klar kommt die Welt, die lärmende und auch die böse, heutzutage immer mit! Aber selbst ich als Nichtgernschwimmer weiß, dass es schön ist, wenn einem das Wasser mal für ein paar Sekunden die Ohren zuhält. Genießt die letzte Urlaubswoche!

Besitos, Stephan 

tag 21

lieber stephan, 

mit dem abtauchen im urlaub ist das so eine sache. ich bin nicht sicher, dass das im 21. jahrhundert noch übermäßig gut gelingt, schon gar nicht in diesem sommer, und ich weiß auch nicht, für wie erstrebenswert ich das überhaupt halte. nachrichten erreichen mich, per mail, per push-nachricht, neuerdings auch auf meiner uhr. in die ecke werfen kann ich den ganzen krempel stundenweise, aber nicht dauerhaft, weil ich als freie autorin auch im urlaub arbeite, in kleinen dosen, immerhin.

und die welt hört ja nicht auf zu sein, wie sie ist, nur weil ich gerade nicht hinsehe. wenn in russland regimegegner vergiftet werden und in mexiko journalisten in polizeigewahrsam sterben, wenn in offenbach die neuinfektionen durch die decke gehen und in hanau eine demonstration zum gedenken an die opfer des rassistischen anschlags aus fadenscheinigen gründen unterbunden wird, dann möchte ich das zumindest wissen, urlaub hin oder her. ich empfinde dabei die selbe wut, die selbe ohnmacht, die ich auch zuhause empfinden würde. nur dass mein blick dabei aufs meer fällt. das meer, das ich so sehr liebe. das meer, auf dem die griechische küstenwache flüchtlinge auf rettungsinseln aussetzt und ihrem schicksal überlässt.

ohne zugang zum internet wäre ein urlaub in griechenland in diesem jahr ohnehin kaum möglich. in einer woche beginnt für uns die rückreise nach deutschland. auf dem hinweg sind wir über ungarn, rumänien und bulgarien gefahren, die EU-route, aber das war ehrlich gesagt nur, weil wir zu viele zigaretten dabei hatten – eine marke, die es hier nicht gibt. jetzt sind die zigaretten alle, wir drehen selbst, mir traurigen, aber irgendwie rauchbaren resultaten, und wollten deshalb auf dem rückweg über serbien und kroatien abkürzen. serbien darf man derzeit aber nur passieren, wenn man sich zuvor nicht länger als zwölf stunden in bulgarien aufgehalten hat (wobei man griechenland mit dem auto nach wie vor nur über den bulgarischen grenzübergang verlassen kann). und zwischen österreich und slowenien stehen reisende zwölf stunden lang im stau, weil die grenzkontrollen verschärft wurden. 

wir werden sehen. bis dahin sehe ich das meer und die olivenbäume. 

besitos

* karin

tag 19

lieber stephan, 

ich muss doch noch mal was zum meer sagen. es ist nämlich gar nicht nur das schwimmen an sich –  wobei ich das schon auch sehr mag und in den vergangenen monaten brutal vermisst habe. als ich kurz vor meinem urlaub in hamburg war, hab ich einen slot für das schwimmbad gebucht, das quasi direkt gegenüber meiner wohnung liegt. normalerweise schwimme ich da jede woche zwei kilometer. weil man einen slot buchen musste, ging ich davon aus, es würde leer sein, aber ehrlich gesagt wirkte es genauso voll wie im vergangenen sommer. es wäre unmöglich gewesen, beim schwimmen auch nur einen meter abstand zu den anderen zu halten. der bademeister erwiderte auf meine frage, doch, es gebe bei ihnen schon ein limit, 230 leute. zweihundertdreißig. ich bin dann unverrichteter dinge wieder gegangen. aber eigentlich wollte ich ja was zur ägäis sagen. 

in den vergangenen 18 jahren ist es mir ein einziges mal gelungen, meinen mann nach lateinamerika zu bewegen, wo ich, wie du weißt, eigentlich am liebsten bin. wir flogen nach mexiko, cancún, und anschließend mit dem boot zur isla mujeres. ich hatte erwartet, dass er sowas wie aaah oder wenigstens ooh sagen würde, wenn er zum ersten mal dieses wasser sieht, türkisblau, klar und glitzernd, aber er sagte gar nichts. und als ich ihn fragte, sagte er, sichtlich bemüht, mich nicht zu kränken: naja, es ist ein bisschen wie in griechenland. ich hielt das für völlig absurd. ein paar jahre später verbrachten wir den sommer zum ersten mal auf amorgos, meiner lieblingskykladeninsel. seitdem liebe ich dieses meer, mehr als jedes andere. es hat die perfekte farbe, die perfekte temperatur, die perfekte schwappsigkeit. ich hatte keine ahnung, dass es sowas in europa überhaupt gibt. 

jede wette, dass ihr bis zu den knien reingehen würdet, mindestens. 

besitos

* karin

tag 18

Liebe Karin,

wusstest Du eigentlich, dass ich seit ungefähr 15 Jahren Urlaub auf den Kanaren mache (na ja, „seit 15 Jahren“, leider sind wir zwischendurch immer knapp ein Jahr zu Hause) – und in dieser ganzen Zeit ungefähr ein einziges Mal mehr als einen Fuß ins Meer gesetzt habe? Nämlich zwei Füße? Sag es nicht weiter, jeder ist auf seine Art bekloppt, aber ich habs nicht so sehr mit dem Wasser. Der lieben Gattin geht es nicht anders, das erleichtert die Abstimmung gewaltig.

Wenn Du jetzt sagst, dann könnte ich genauso gut Urlaub im Umland von Hannover machen, wo wir uns ja gerade mal kurz aufgehalten haben, dann sage ich: Na ja. Der Ort, wo der Freund wohnt, von dem ich Dir vorgestern erzählt habe, ist so gesichtslos wie ein Nacktmull. Aber wir haben erlebt, dass Menschen, die dort verwurzelt sind, sich richtig gut aufgehoben fühlen. Sie müssen die Wurzeln gar nicht weit ausstrecken, um auf Bekannte und Bekanntes zu stoßen, und das tut ihnen, so war mein Gefühl, richtig gut. 

Mit beschränktem Horizont hat dieses Kleinstadt-Leben nichts zu tun, das sind Menschen, die viel erlebt und gesehen haben. Aber sie wissen, wohin sie zurückkommen, das ist etwas wert. Vielleicht jetzt mehr denn je.

Es war übrigens unsere erste Übernachtung im Hotel seit Corona, ein seltsames Gefühl. Desinfektionsmittel satt, überall, und zum Frühstück für jede und jeden eine eigene Wurst-Käse-Platte mit Deckel drüber. Riesen-Portionen, ich will mir gar nicht ausmalen, was die mit den Resten machen. Man könnte eine ganze Hundekolonie auf dem Pilion damit füttern.

Wir wollen im Herbst noch mal hinfahren, der Biergarten hat Heizstrahler. Ein Wahnsinn, ökologisch gesehen. Aber dafür fällt wohl in diesem Winter der Flug auf die Kanaren aus…

Schwimmt ein bisschen für mich mit!

Besitos, Dein Stephan

tag 17

lieber stephan, 

wir sind mit dem auto in den norden gefahren, wo der pilion praktisch nur noch aus bergen besteht. die landstraße windet sich in endlosen kurven die hänge entlang, das termometer sinkt alle zehn minuten um ein grad und irgendwann bist du in zagarada, wo kastanien in ihren grünen stachelhüllen wie lampions in den bäumen hängen. die luft ist schwül. um die 1000 jahre alte platane auf dem platz vor der kirche herum sieht es aus, als sei das hier ein ganz normaler sommer. die tische voll besetzt, kletternde kinder in den ästen. in einer seitengasse stehen ein paar gläser honig und eingemachtes obst auf einem kleinen tisch, dazu ein körbchen, um das geld für die ware zu hinterlassen, und eine flasche desinfektionsgel. 

eigentlich wollten wir an den strand von milopotamos, der als einer der schönsten strände griechenlands gilt. autos parkten entlang der landstraße, weit den berg hinauf, und als wir schließlich auf dem parkplatz ankamen, von wo aus holztreppen zur bucht führen, sahen wir schon von oben, dass a) der strand tatsächlich unfassbar schön ist, uns aber b) das mutmaßlich dezimierte treiben trotzdem zu viel sein würde, in anbetracht der umstände.

das wunderbare an griechenland ist ja unter anderem, dass es so viele strände gibt, dass nie alle überlaufen sind, schon gar nicht die, an denen nacktbaden toleriert wird. es gibt keine ausgewiesenen zonen dafür und offiziell ist es eigentlich überall verboten. aber in einigen buchten halten resolute nudisten das fähnlein nichts aufrecht und meistens stört sich niemand daran. um zu wissen, wo sich diese flecken befinden, konsultieren wir seit jahren die übersicht von captain barefoot, ein brite, der so gut wie sämtliche griechische strände erfasst und auf ihre nackttauglichkeit getestet hat. sehr verdienstvoll, wenn du mich fragst, und natürlich auch ein bisschen bekloppt – eine liebenswerte kombination. am strand von parisaina, nahe der ortschaft chorefto, fanden wir dann am späten nachmittag doch noch einen weg ins wasser. ich bin eine halbe stunde lang durch die kristallklare, türkisblaue ägäis geschwommen, über das lichtnetz gleitend, das die sonne auf dem meeresgrund auslegt, fische zählend. besser wird‘s nicht.

ich hoffe, ihr seid wohlauf!

besitos

* karin