Hoffnung

Ich könnte ja sagen, hier in Deutschland sei eine Phase der Hoffnung angebrochen. Die Biergärten machen auf, die Bäume vor unserem Schweinelampe-Fenster werden grün vor Glück über den Regen, den es in diesem Mai auch mal wieder gibt, und ich glaube, die Hälfte der Bevölkerung überrennt die Buchungsportale für die Sommerferien. Und ich habe Urlaub, ein paar Tage an der Mosel inklusive.

Ich will ja nichts schlechtreden, aber trotz allem ist es mit der Hoffnung so eine Sache. Mit wird schon mulmig, wenn aus nationaler Schlechtgelauntheit urplötzlich eine Stimmung kriecht, als würden wir übermorgen wieder so leben wie vor Corona. Unsinn, der nur neue Enttäuschung produziert! 

Aber dann lese ich (kurz vorm Urlaub, es war noch Arbeit), was Erich Fromm, der große Sozialpsychologe, über die Hoffnung geschrieben hat: »Hoffnung ist paradox. Sie ist weder ein untätiges Warten noch ein unrealistisches Herbeizwingenwollen von Umständen, die nicht eintreffen können. Sie gleicht einem kauernden Tiger, der erst losspringt, wenn der Augenblick zum Springen gekommen ist.«

Das bewegt etwas in mir. Das ist mehr als »Hoffen« auf Ferien in Norddeich oder Mallorca. Das ist so etwas wie aktives Vorbereitetsein auf mehr, auf Veränderung, auf Überwindung der vielen Dinge, die mich im Jetzt ziemlich traurig machen, wie zum Beispiel ein Diktator (Luklaschenko, Belarus), der ein Flugzeug vom Himmel holen lässt, um einen urlaubenden Dissidenten aus dem Exil zu holen und zu verhaften. 

Und ich lese weiter bei Fromm: »Weder ein müder Reformismus noch ein pseudo-radikales Abenteurertum ist ein Ausdruck von Hoffnung. Hoffen heißt, jeden Augenblick bereit sein für das, was noch nicht geboren ist.«

Ich freue mich wahnsinnig, wenn wir uns wieder im Biergarten treffen. Aber ich schaue auch in den Baum hinter der Schweinelampe, der so grün ist, als wäre das Klima gesund, und spüre: Hoffnung.

Stephan Hebel
egremni beach, lefkada

The greek thing to do

Das mit dem Licht war auch diese Woche gar nicht so einfach, selbst wenn man den Tatort am Sonntagabend gar nicht sehen kann. Es erreicht einen ja trotzdem noch so gut wie alles, selbst auf einer kleinen griechischen Insel, und wenn ich auf Twitter Nachrichten über Polizeigewalt und tote Demonstranten in Kolumbien lese, könnte ich heulen. Der Router am Haus wollte mir wahrscheinlich eine Freude machen und hat gestern Nachmittag aufgehört zu funktionieren. Aber das Licht kam erst, als heute Mittag mein Freund Thomas aus Athen anrief. 

Thomas ist der Mann, der Schuld daran ist, dass ich mich sehr konzentrieren muss, wenn ich ein paar der wenigen mir verfügbaren Worte auf Griechisch sage. Ich memoriere die Sätze als Lautmasse und gebe sie später wie eine Art Melodie wieder, bei hoffentlich passender Gelegenheit, aber so genau wissen kann man das eben nie. Thomas bringt mir gern Versautes auf Griechisch bei, aber heute brachte er vor allem Licht. In Griechenland ist heute, Dienstag, nämlich der 1. Mai. 

Wenn der Tag der Arbeit auf ein Wochenende fällt, erklärte mir Thomas, wird er in Griechenland am nächsten Werktag nachgefeiert. Gestern war Ostermontag, it’s an orthodox thing, weshalb der 1. Mai eben auf den 4. Mai fällt. Und auch noch auf den 6. Mai, wegen Corona, damit nicht alle am selben Tag zusammen auf die Straße gehen. Und schon hab ich wieder überhaupt keine Lust mehr, jemals nach Hause zurückzukommen. 

»In Deutschland kann es keine Revolution geben, weil man den Rasen dazu betreten müsste.« Dieser Satz wird Josef Stalin zugeschrieben, vielleicht hat er ihn aber auch nur in einem Gespräch zitiert, jedenfalls musste ich neulich daran denken, als wir auf der Straße zum Strand von Egremni vor einem Absperrgitter standen. Der Strand ist mein Sehnsuchtsziel, seit wir vor vier Jahren zum ersten Mal auf Lefkada waren. Seit vier Jahren ist der Zugang gesperrt, weil ein Erdbeben 2015 sowohl die Straße als auch die Treppen zum Strand zerstört hat. Und seit vier Jahren heißt es, im nächsten Jahr sei das Problem bestimmt behoben. 

Auf Youtube kann man Videos sehen, die zeigen, dass die Arbeiten an den Treppenstufen ganz offensichtlich abgeschlossen sind. Auch die Straße macht einen tadellosen Eindruck. Aber da ist eben dieses Gitter. Und weil uns nicht ganz klar ist, ob wir überhaupt richtig offiziell hier in Griechenland sein dürfen, wollten wir uns an die Regeln halten, den Strand von einer Klippe in 200 Metern Höhe anschmachtend. 

Die Frau von der Ferienhausvermittlung, die ich aufgrund meiner mangelnden Griechisch-Kenntnisse um Unterstützung bat, brachte für mich in Erfahrung, dass der Zugang zum Strand erst Mitte Juni offiziell eröffnet wird (werden soll). Bis dahin sind wir wieder zurück in Deutschland. Sie erzählte von einem Bekannten, der ein kleines Boot habe, mit dem er uns zum Strand bringen könnte. Aber offiziell ist auch das verboten, weil derzeit nur Schiffe mit weniger als acht Metern Länge raus aufs Meer dürfen und auch das nur zum Fischen. 

Dann fragte sie: »Warum springt ihr nicht einfach über den Zaun?« Anstelle einer Antwort fragte ich sie, ob es nicht möglich wäre, von der zuständigen Behörde eine Sondergenehmigung zu bekommen, ich sei Journalistin und hätte vor, eine Reisereportage über den Strand zu schreiben. Sie hatte bereits mit der Behörde telefoniert. »Die haben gefragt, warum ihr nicht einfach über den Zaun springt.« Aber wäre es nicht irgendwie peinlich, wenn Bauarbeitern uns dabei ertappen würden? »Die helfen euch über den Zaun zu springen. It’s what we would do, it’s greek.«

Falls in den kommenden Wochen eine Reisereportage über Egremni von mir in der ZEIT erscheint, haben wir es getan. Falls nicht auch, aber dann lebe ich jetzt in einer Hütte am Strand und habe keinen Internetempfang. 

tag 31

lieber stephan,

die letzte nacht hatte es in sich. nachdem wir am dienstag die grenzen zu serbien (unbefragt) und ungarn (dito) problemlos passiert hatten, steuerten wir am frühen abend hinter budapest eine autobahnraststätte an, um dort die nacht zu verbringen. es ist nämlich so: nicht-ungarn dürfen derzeit nur einreisen, wenn sie nicht vorhaben, sich im land aufzuhalten. sie müssen sich auf vorgegebenen transit-routen bewegen und unterwegs ausgewiesene transit-raststätten aufsuchen.

die temperatur war inzwischen aus serbischen endzwanzigern auf 14 grad gefallen und es hatte angefangen zu regnen. wir parkten den wagen nahe der stadt tata auf einem rastplatz zwischen einer shell tankstelle und einer kentucky fried chicken filiale. ich wickelte mich so gut es ging in den schlafsack ein, während wir auf unseren campingstühlen, dem uns umgebenden gastronomischen angebot zum trotz, tapfer unsere letzten griechischen dosen (bohnen und fleischbällchen) leer löffelten. dann gingen wir zügig zum ouzo über, um uns für die nacht zuzulöten. im auto, zu unseren füßen, gab die tankstelle einen permanenten sonnenuntergang. es war sogar auf eine kaputte weise romantisch.

am nächsten morgen hätte ich noch vor der zweiten tasse nescafé in den besitz eines iphones und vier verschiedener samsung-modelle kommen können, die junge männer mir zum kauf anboten, aber ich hab ja schon ein telefon. wir tranken aus, setzen uns wieder ins auto und fuhren die verbleibenden 900 kilometer runter, abermals ohne umstände an den verbleibenden grenzen. mein eindruck ist, dass die offiziellen bestimmungen in der praxis sehr frei übersetzt werden, vermutlich dienen sie in erster linie der abschreckung. ich versteh das, vermutlich ist es auch vernünftig. dennoch bin ich glücklich, dass wir uns auf dieses abenteuer eingelassen haben. es hat unendlich gut getan unterwegs zu sein, die fühler auszustrecken, ein bisschen leichtigkeit innerhalb des ausnahmezustands zu erleben, der sich tatsächlich etwas weniger bleiern anfühlt als zuvor.

inzwischen hat uns das herbstliche grau wieder – und unsere gemeinsame sommerreise kommt zum ende, was mich noch wehmütiger macht als der wolkenverhangene himmel vor meinem fenster. ich möchte dir von ganzem herzen danken für deine klugen gedanken, für den austausch, für den anteil, den ich in diesem sommer auch auf reisen an deinem leben haben durfte. es hat mir riesigen spaß gemacht – mal sehen, was im weiteren daraus entsteht.

für heute wünsche ich mir, dir möglichst bald mit einem bier in der hand gegenüber zu sitzen und das gespräch mündlich fortzusetzen. sei fester umarmt, als uns das möglich sein wird, und noch einmal: ganz vielen lieben dank!

besitos

* karin

tag 30

Liebe Karin,

Du weißt, ich rede hier und da auch über andere Dinge als das Wetter. Aber da mir zuletzt schon das herbstliche Grau(en) vor Augen stand, muss ich Dir einfach auch diesen wunderbaren Spätsommer-Tag zeigen. Das mag Deinen Urlaubsende- Schmerz wenigstens ein bisschen lindern.

Ich nutze die Gelegenheit, mich mit meinem lieben Freund T. in seinem Kleingarten zu verabreden. Hab ich Dir davon schon mal erzählt? Seit die verdammte Seuche begann, war er mein einziger regelmäßiger Kontakt, abgesehen natürlich von der noch lieberen Gattin. Wir sitzen da, trinken ein Bier, politisieren ein bisschen vor uns hin und planen gemeinsame Projekte, Veranstaltungen und so. Natürlich wird es auch persönlich, wir haben uns einfach in jeder Hinsicht viel zu sagen und das ist ganz wunderbar.

Heute werde ich dort meine Bierflasche auf Dich und Thilo erheben. Vor allem darauf, dass ihr die Griechenland-Reise gewagt habt, trotz allem. Und trotz der Schatten, die in diesen Zeiten auf den Genuss fallen mussten, glaube ich zu spüren, dass Du außer Honig auch Kraft mit nach Hause bringst für alles, was jetzt kommen mag.

Ich freue mich sehr, manches davon auch in Zukunft mit Dir austauschen zu können. Aber ich bin auch traurig, dass unser kleines Hin und Her hier auf dem Blog mit Deiner Rückkehr endet. Deine Nachrichten und Gedanken haben mich immer zum Weiterdenken inspiriert, ganz anders als das, was sonst so alles auf einen einprasselt an Text und Bild und Ton. Und ein bisschen Urlaubsgefühl hast Du zu mir auch herüberwehen lassen.

Das war eine schöne Zeit. Danke, und bis sehr bald!

Besitos, Dein Stephan

tag 29

lieber stephan,

für deinen leitartikel bekommst du einen ganzen honigtopf für dich allein! ich muss gestehen, dass ich am samstag, während der demo, zum ersten mal in urlaubsstreik getreten bin und versucht habe, einfach gar nichts davon zur kenntnis zu nehmen, vorerst jedenfalls. ich hab ja so schon keine lust wieder nach hause zurückzukommen.

am montagmorgen, der mit einem herzergreifenden sonnenaufgang über dem ionischen meer begann, sind wir losgefahren. nach fünf stunden im auto war griechenland vorbei. ein- und ausreisen kann man auf dem landweg nach wie vor nur über einen einzigen grenzübergang, promachonas, und die bulgaren haben uns einreisen lassen – nicht sehr freundlich, aber das ist in diesem jahr auch gar nicht so wichtig, jedenfalls gab es keine schwierigkeiten. übernachtet haben wir auf einem winzigen campingplatz 40 kilometer westlich von sofia, den wir schon von der hinreise kannten. es gibt ein kompostklo, eine außendusche und wlan. die inhaber, eine kanadierin und ihr bulgarischer mann, haben ein paar stellplätze ins feld gesenst und sind so hinreißend, dass wir bulgarien morgen mit einem fetten freundlichkeitsplus verlassen werden, trotz grenzer.

am abend, bei kerzenlicht unter der offenen heckklappe unseres autos, haben wir uns eine geschichte für die einreise morgen in serbien überlegt, die ist nämlich womöglich ein bisschen heikel. wir haben diverse webseiten konsultiert, auf denen es heißt:

a) man dürfe sich zuvor nicht länger als zwölf stunden in bulgarien aufgehalten haben

b) man müsse serbien innerhalb von zwölf stunden durchqueren.

die offene frage ist, ob oder oder und, ob man uns getrennt dazu befragen wird. oder ob sich in der praxis einfach keine sau dafür interessiert.

wir wollen dann weiter über ungarn, allerdings will ungarn ab morgen keine ausländer mehr einreisen lassen. wie es mit transit aussieht? die einen sagen so, die anderen so, wir werden sehen. 

gesehen hab ich übrigens auch, wie espenlaub zittert, es klingt nach regen. und am horizont versank die sonne hinter serbischen bergen.

besitos

* karin