tag 23

lieber stephan, 

anzünden!! man muss es anzünden!! und hier sitzen wir seit wochen um einen haufen kaffeepulver herum und wundern uns, warum die wespen trotzdem nicht abhauen. in unserer verzweiflung haben wir eine alternative entwickelt, die etwas aufwändiger ist: man kann die wespen mit wasser besprühen, dann denken sie, dass es regnet, und verziehen sich. die methode ist allerdings nicht sehr nachhaltig, was vermutlich damit zu tun hat, dass wespen ein schlechtes gedächtnis haben und deshalb ziemlich schnell zurückkehren, wenn man aufgehört hat zu regnen nämlich. außerdem beregnet man selten nur die wespe, sondern meistens auch das frühstück und einander, du siehst: nicht sehr praktikabel. 

ansonsten gibt es zu berichten, dass es langsam leerer wird in griechenland. der august neigt sich dem ende zu, unser urlaub leider auch – dabei wollte ich dir noch so viel erzählen. von unseren nachbarn, von griechischen buchstaben, phi unter anderem, und von jason und den argonauten. aber ein paar tage bleiben uns ja noch. 

für heute nur so viel: der hund kommt jetzt immer mit seinem dicken freund bei uns vorbei. und er ist wählerisch geworden, was das essen betrifft, dabei hab ich ihm extra leckerli besorgt. aber wenn ich ihm eins hinwerfe, schaut er mich genauso ratlos an wie ich schauen würde, läge man es mir vor die nase. macht aber nichts. der dicke frisst alles. 

besitos

* karin

tag 22

Liebe Karin,

da sitze ich also wieder auf dem Balkon und arbeite vor mich hin, die Urlaubswoche ist schon vorbei, und was Du auf dem Teller siehst, ist nicht etwa ein missglücktes Mousse au Chocolat, sondern Kaffee mit Brandspuren. Ich habe inzwischen das Gefühl, dass alle es schon wussten, aber uns war das neu: Pulverkaffee zum Glimmen bringen, und um den Rauch macht jede Wespe einen eleganten Bogen. Nie haben wir um diese Jahreszeit so ungestört draußen gegessen!

Lange wird das nicht mehr gehen, wir spüren schon den Herbst hier in Frankfurt. Die Abende werden kühler, und die Zeit rückt näher, in der wir uns fragen müssen, wo und wie wir unsere Freundinnen und Freunde treffen können. 

Wie immer, wenn der Sommer zuende geht, fangen auch die Veranstaltungen wieder an. Ich bleibe vorsichtig, „Hebels aktuelle Stunde“ findet auch nächste Woche wieder online statt und nicht im guten alten Frankfurter „Club Voltaire“. Nur am 17. September, wenn ich an einem Podium mit Harald Welzer teilnehmen darf, wollen wir es in einem großen Saal mit 30 Leuten „live“ versuchen. Bin mal gespannt.

Das Welzer-Lesen hat mir heute ganz gut getan. In seinem Denken steckt so viel Zukunftsfreudigkeit, dass es einen anstecken kann. Den ganz großen Entwürfen, die ja auch lähmen können, stellt er die Hoffnung auf lauter kleine, an Alltagserfahrungen anknüpfende Veränderungen entgegen, die am Ende dann sehr wohl zu etwas Größerem, Anderen werden könnten. Zu dem revolutionären Pessimismus, der mir so oft begegnet, zu diesem „Es geht nur mit der ganz großen Revolution, aber die geht nicht“ bildet Welzer einen schönen Kontrast.

Das mit dem Abtauchen im Urlaub habe ich übrigens gar nicht so fundamental gemeint. Klar kommt die Welt, die lärmende und auch die böse, heutzutage immer mit! Aber selbst ich als Nichtgernschwimmer weiß, dass es schön ist, wenn einem das Wasser mal für ein paar Sekunden die Ohren zuhält. Genießt die letzte Urlaubswoche!

Besitos, Stephan 

tag 21

lieber stephan, 

mit dem abtauchen im urlaub ist das so eine sache. ich bin nicht sicher, dass das im 21. jahrhundert noch übermäßig gut gelingt, schon gar nicht in diesem sommer, und ich weiß auch nicht, für wie erstrebenswert ich das überhaupt halte. nachrichten erreichen mich, per mail, per push-nachricht, neuerdings auch auf meiner uhr. in die ecke werfen kann ich den ganzen krempel stundenweise, aber nicht dauerhaft, weil ich als freie autorin auch im urlaub arbeite, in kleinen dosen, immerhin.

und die welt hört ja nicht auf zu sein, wie sie ist, nur weil ich gerade nicht hinsehe. wenn in russland regimegegner vergiftet werden und in mexiko journalisten in polizeigewahrsam sterben, wenn in offenbach die neuinfektionen durch die decke gehen und in hanau eine demonstration zum gedenken an die opfer des rassistischen anschlags aus fadenscheinigen gründen unterbunden wird, dann möchte ich das zumindest wissen, urlaub hin oder her. ich empfinde dabei die selbe wut, die selbe ohnmacht, die ich auch zuhause empfinden würde. nur dass mein blick dabei aufs meer fällt. das meer, das ich so sehr liebe. das meer, auf dem die griechische küstenwache flüchtlinge auf rettungsinseln aussetzt und ihrem schicksal überlässt.

ohne zugang zum internet wäre ein urlaub in griechenland in diesem jahr ohnehin kaum möglich. in einer woche beginnt für uns die rückreise nach deutschland. auf dem hinweg sind wir über ungarn, rumänien und bulgarien gefahren, die EU-route, aber das war ehrlich gesagt nur, weil wir zu viele zigaretten dabei hatten – eine marke, die es hier nicht gibt. jetzt sind die zigaretten alle, wir drehen selbst, mir traurigen, aber irgendwie rauchbaren resultaten, und wollten deshalb auf dem rückweg über serbien und kroatien abkürzen. serbien darf man derzeit aber nur passieren, wenn man sich zuvor nicht länger als zwölf stunden in bulgarien aufgehalten hat (wobei man griechenland mit dem auto nach wie vor nur über den bulgarischen grenzübergang verlassen kann). und zwischen österreich und slowenien stehen reisende zwölf stunden lang im stau, weil die grenzkontrollen verschärft wurden. 

wir werden sehen. bis dahin sehe ich das meer und die olivenbäume. 

besitos

* karin

tag 20

Liebe Karin,

wir hatten es ja schon ein paar Mal mit den Kontrasten, und ich fühle das heute mal wieder besonders stark. Ein sonniger Samstag, die Schwüle ist einer milden Brise gewichen, gerade eben hat sich eine Biene in unsere Balkonblumen versenkt. Und ein paar Kilometer von hier, in Hanau, regiert die Trauer.

Ein halbes Jahr ist es jetzt her, seit am 19. Februar ein Mann (nicht ohne ein rassistisches, islam- und judenfeindliches Pamphlet zu hinterlassen) in Hanau wahllos neun Menschen erschoss und anschließend erst seine Mutter und dann sich selbst tötete. Eine große Demo im Gedenken an die Opfer und gegen Rassismus sollte es heute werden, aber sie wurde kurzfristig verboten – wegen des verdammten Virus, die Zahl der Infizierten war in Hanau wieder stark gestiegen.

Die Angehörigen und alle anderen, die die Demo organisiert hatten, taten nicht das, was manche der sogenannten „Corona-Demonstranten“ tun. Sie faselten nichts von Merkels „Diktatur“ (als ließe sich Merkel nicht auch vernünftig kritisieren!); sie traten nicht auf, als wüssten sie besser als alle anderen, wie (un)gefährlich Corona ist; sie schwangen sich nicht zu den einzig wahren Verteidigern des Rechtsstaats auf wie diese Menschen, die den Rechtsstaat zwar gegen ein Stück Stoff verteidigen, aber nicht gegen Flüchtlings-Verhinderung, Bespitzelung oder Racial Profiling. 

Nein, die Leute in Hanau äußerten nach dem Verbot Bedauern, und dann wandelten sie die Demo in eine online gestreamte Kundgebung um. Ich bewundere die ruhige, immer gesprächsoffene Form, in der diese Menschen ihre Verurteilung des Rassismus und auch ihre Kritik an der mangelnden Gegenwehr von Behörden äußern. Und deshalb kotzt es mich umso mehr an, wenn superkluge Autoren wie Herr Harald Martenstein meinen, die Corona-Demos gegen den Antirassismus ausspielen zu müssen: Er beschwert sich, dass die „FAZ“ gezielte Verstöße gegen Abstandsregeln als „Dummheit“ bezeichnet hat, aber antirassistische Demos als „Wohltat“, auch wenn dort das Einhalten der Regeln nicht immer gelang. 

Ich bin nicht dafür, die Demos der „Covidioten“ (die ich übrigens so nicht nenne, ist mir zu platt-polemisch) zu verbieten. Aber es macht mir Angst, wie der mörderische Antirassismus durch schräge Vergleiche faktisch kleingeredet wird, um die Meinungsfreiheit von Leuten zu verteidigen, deren Meinungsfreiheit niemand infrage stellt. Während anderswo das Lebensrecht andersfarbiger Menschen infrage gestellt wird.  

So, liebe Karin, das ist jetzt etwas lang geworden, aber es treibt mich halt um. Bin einfach zu nah dran. Wäre ich am Meer, ich würde es vielleicht sogar mal mit Abtauchen versuchen. Aber gerade kommt die Biene wieder, das tut auch schon gut.

Besitos! Stephan

tag 19

lieber stephan, 

ich muss doch noch mal was zum meer sagen. es ist nämlich gar nicht nur das schwimmen an sich –  wobei ich das schon auch sehr mag und in den vergangenen monaten brutal vermisst habe. als ich kurz vor meinem urlaub in hamburg war, hab ich einen slot für das schwimmbad gebucht, das quasi direkt gegenüber meiner wohnung liegt. normalerweise schwimme ich da jede woche zwei kilometer. weil man einen slot buchen musste, ging ich davon aus, es würde leer sein, aber ehrlich gesagt wirkte es genauso voll wie im vergangenen sommer. es wäre unmöglich gewesen, beim schwimmen auch nur einen meter abstand zu den anderen zu halten. der bademeister erwiderte auf meine frage, doch, es gebe bei ihnen schon ein limit, 230 leute. zweihundertdreißig. ich bin dann unverrichteter dinge wieder gegangen. aber eigentlich wollte ich ja was zur ägäis sagen. 

in den vergangenen 18 jahren ist es mir ein einziges mal gelungen, meinen mann nach lateinamerika zu bewegen, wo ich, wie du weißt, eigentlich am liebsten bin. wir flogen nach mexiko, cancún, und anschließend mit dem boot zur isla mujeres. ich hatte erwartet, dass er sowas wie aaah oder wenigstens ooh sagen würde, wenn er zum ersten mal dieses wasser sieht, türkisblau, klar und glitzernd, aber er sagte gar nichts. und als ich ihn fragte, sagte er, sichtlich bemüht, mich nicht zu kränken: naja, es ist ein bisschen wie in griechenland. ich hielt das für völlig absurd. ein paar jahre später verbrachten wir den sommer zum ersten mal auf amorgos, meiner lieblingskykladeninsel. seitdem liebe ich dieses meer, mehr als jedes andere. es hat die perfekte farbe, die perfekte temperatur, die perfekte schwappsigkeit. ich hatte keine ahnung, dass es sowas in europa überhaupt gibt. 

jede wette, dass ihr bis zu den knien reingehen würdet, mindestens. 

besitos

* karin